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In den Trümmern des Himmelsystems

In den Trümmern des Himmelsystems

Titel: In den Trümmern des Himmelsystems
Autoren: Joan D. Vinge
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meisten der Frauen, denen er begegnete, waren Frauen wie Kimoru, Geishas, die er während der Verhandlungen traf, die er für die Gesellschaften führte, bei denen sie angestellt waren. Er ging ihnen aus dem Weg, wenn er einen Auftrag hatte, weil er allem aus dem Weg ging, was man nachträglich als Bestechung hätte auslegen können. Doch in ihrer Freizeit wählten die Geishas ihre Begleiter gern selbst aus, und er hatte genug Geld, um ihnen ein angenehmes Leben zu ermöglichen.
    Doch nur selten blieb er lange genug an einem Ort, um eine Frau wirklich gut kennenzulernen; die wenigen normalen Frauen, die er kennengelernt hatte, hatten ihn mit ihren endlosen, geistlosen Konversationen und ihrer endlosen Koketterie lediglich ermüdet.
    Wadie strich sein dunkles, lockiges Haar zurück und setzte sorgfältig das Barett auf. Er zog sich peinlich genau an, selbst im Morgengrauen. Das erwartete man von ihm. Er hob einen silbernen Ring, verziert mit Rubinen, auf und zog ihn über seinen Daumen. Er war ein Dankbarkeitsgeschenk von zwei Menschen gewesen, denen er vor vielen Megasekunden geholfen hatte, einem Mann-und-Frau-Schürfteam. Wieder erinnerte er sich an diese Frau – eine weibliche Pilotin, eine gesunde, kräftige Frau, die sich hatte sterilisieren lassen, um ins All reisen zu können. Keine typische Frau, denn keine Frau würde freiwillig ein Zuhause und ein Familienleben zurückweisen. Diese Frau war ein Außenseiter gewesen – halsstarrig, defensiv, selbstbewußt; aus der Art geschlagen und fehl am Platze. Und doch hatte ihr Partner sie geheiratet. Doch auch er selbst war eine Art Außenseiter gewesen; ein Medienmann, ein professioneller Lügner mit Skrupeln. Es war kein Wunder, daß die beiden beschlossen hatten, den Rest ihres Lebens irgendwo im Nichts zu verbringen, indem sie Altmaterial auf ruinierten Welten suchten …
    Angesichts dieser Erinnerungen schüttelte Wadie den Kopf; er blickte in den Spiegel und durch ihn hindurch in die Vergangenheit. Er fragte sich wieder, wie er sich schon unzählige Male zuvor gefragt hatte, welch bizarrer Mechanismus sie zusammengebracht hatte und noch immer zusammenhielt. Gleichzeitig fragte er sich kurz, fast neidisch, warum dieser Mechanismus noch nie bei ihm funktioniert hatte. Er zuckte die Achseln, schlüpfte in seine laubgrüne Jacke und knöpfte den hohen Kragen mit den reich mit Stickereien verzierten Aufschlägen zu. Zum Teufel, er war elf hundertundfünfzig Megasekunden alt – achtunddreißig Jahre der alten Welt –, und den größten Teil davon hatte er damit verbracht, anderer Leute Probleme zu lösen, hatte das Leben irgendeines anderen gelebt anstatt sein eigenes. Wenn er bis heute noch keine Frau gefunden hatte, die ihn um seiner selbst willen wollte, oder eine, die ihn alles vergessen ließ, dann würde er auch in Zukunft keine finden. Er wurde nicht jünger; wenn er ein Kind wollte, konnte er es sich kaum leisten, noch länger zu warten. Wenn er diesen neuen Auftrag erfüllt hatte, würde er sich eine Kontraktmutter mieten, die während seiner Abwesenheit sein Kind gebar und erzog. Als er das Apartment verließ und leise die Tür schloß, sah er ein letztes Mal zu der schlafenden Kimoru zurück.
     
    Wadie gähnte diskret, als er den Schatten des Gebäudes verließ und den stillen Platz überquerte. Inzwischen war es fast Tag, und das Glühen der Fluoreszenzlampen erhellte wie die Dämmerung den imitierten Himmel der Decke zehn Meter über seinem Kopf. Die magnetisierten Sohlen seiner polierten Stiefel klickten leise auf dem polierten Metall des Platzes, eine zusätzliche Sicherheit in der schwachen Gravitation des Toledo-Planetoiden. Die Oberfläche des Platzes krümmte sich entlang der Innenhülle eines massiven, ausgehöhlten Eisenklumpens, der Ertrag eines reichen Miners und ein solides Heim, doch eines, das unerfreulicherweise begann, sein Alter zu zeigen. Das silberne, geometrische Filigranmuster puren mineralischen Eisens unter seinen Füßen hatte sich einst unter einem dünnen, unsichtbaren Schutzfilm befunden, aber nun, da der Film sich zersetzte, oxidierte es. Deutlich konnte er die Rostspuren sehen, ein dumpfes Rotbraun im frühen Licht des beginnenden Tages, das seine Augen über den Platz und hin zu der matten Rokokowand und dem Eingang des Regierungszentrums zog. Symptome einer tiefgreifenden Krankheit … so etwas wie Panik würgte ihn, gewohnheitsmäßig holte er tief Atem und verdrängte den Gedanken, daß das Ende nur noch eine Frage der
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