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Imperator

Imperator

Titel: Imperator
Autoren: Stephen Baxter
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wie ihr Reiter.
    Sie überquerten die Dünen mit Essenspaketen, Lederflaschen mit Wasser und zusätzlicher Kleidung. Jeder von ihnen trug eine Waffe, ein Messer im Gürtel.
Dies war das Land der Cantiacer; zwar handelte es sich bei ihnen offiziell um Verbündete von Cuneddas Volk, den Catuvellaunen, aber die Beziehungen zwischen diesen eigentümlichen südlichen Stämmen waren unbeständig, und es zahlte sich immer aus, auf der Hut zu sein. Nectovelin schleppte das schwere Lederzelt, in dem sie schlafen würden; es war zusammengelegt und verschnürt. »Bei Coventinas verschrumpelter Zitze«, fluchte er, »das Ding ist heute noch schwerer als sonst.«
    Agrippina blieb ein wenig zurück und ließ Nectovelin voranstapfen. Der kleine, zehnjährige Mandubracius eilte hinter ihm her. Dadurch gewann sie einen der seltenen Augenblicke allein mit Cunedda. Sie beugte sich zu ihm und ließ sich von ihm einen Kuss rauben.
    »Aber ein Kuss wird reichen müssen«, sagte sie und löste sich von ihm.
    Cunedda lachte und ließ sie los. »Wir haben noch genug Zeit.« Sein südlicher Dialekt ähnelte ihrer eigenen brigantischen Sprache, klang jedoch ein wenig anders  – exotisch genug, um das Ohr zu erfreuen.
    Cunedda war vierundzwanzig, nur ein Jahr älter als Agrippina. Ihre Haut war hell, seine dunkel, und er hatte pechschwarzes Haar und tiefbraune Augen. Heute trug er einen ärmellosen wollenen Leibrock, und die Sommersonne ließ seine Haut in einem unwiderstehlichen Honigbraun schimmern, von dem Agrippina mit ihrer blassen Haut und dem rotblond gesträhnten Haar nur träumen konnte. Sie fand, dass Cunedda wie ein Bewohner des Mittelmeerraums aussah, einer jener redegewandten
Jungen, die ihr in ihrer Jugend in Massilia so beharrlich und fruchtlos nachgestellt hatten. Und er war ein Prinz aus dem königlichen Geblüt der Catuvellaunen, ein Enkel des toten Königs Cunobelin, was ihn für sie noch faszinierender machte.
    Sie roch den salzigen Schweiß auf seiner bloßen Haut und sehnte sich danach, ihn in den Armen zu halten. Aber das konnte sie nicht, nicht jetzt. Sie gingen weiter.
    »Schau dir den alten Nectovelin an, wie er dahinstampft«, sagte Cunedda. »Er ist wie ein entwurzelter Baum aus dem Wald.«
    »Er geht wie ein Krieger«, sagte sie. »Schließlich war er ja auch nie etwas anderes.«
    »Er hat die Haarfarbe eurer Familie, dieses ergrauende Rot. Ist er wirklich dein Vetter?«
    »In gewissem Sinn. Mein Großvater, Cunovic, war der Bruder seines Vaters Ban.«
    »Er sieht nicht gerade aus wie der ideale Begleiter für einen netten Tag am Strand.«
    Agrippina zuckte die Achseln. »Es war seine Idee. Hauptsache, er lernt dich ein wenig kennen, Cun! Außerdem  – wenn überhaupt, hat er heute das Sagen …«
    Cunedda hielt sich einerseits zu Handelszwecken in diesem Teil der Welt auf, um sein Tonwarengeschäft zu fördern; zugleich befand er sich jedoch auch im Auftrag des catuvellaunischen Hofes in Camulodunum nördlich der großen Flussmündung als Gesandter bei den Cantiacern. Der Brigant Nectovelin war für diesen Tag zu seinem Leibwächter bestellt worden.

    Es war nicht sonderlich ungewöhnlich, hier im Süden Briganten finden, die für die Catuvellaunen arbeiteten, die vorherrschende Macht in diesem Teil der Insel, schon bevor sich der längst verstorbene Cassivellaunus bei der römischen Invasion vor neunzig Jahren Caesar persönlich entgegengestellt hatte. Nectovelins Dienste für Cuneddas Familie hatten den jungen Mann überhaupt erst in Agrippinas Leben gebracht.
    Und sie hoffte, dass sie Nectovelin heute dazu bewegen konnte, die Tatsache zu akzeptieren, dass Cunedda hier bleiben würde.
    Sie überquerten die Dünenkuppe und sahen das Meer vor sich, ein blassblaues Tuch unter der sengenden Sonne. Für Agrippina, die das Mittelmeer mit eigenen Augen gesehen hatte, wirkte es beinahe mediterran, aber dies war oceanus , der Ozean, eine von der Flut aufgeblähte Bestie, vor der die abergläubischen Römer große Angst hatten. Ein paar Meilen vor der Küste lag eine flache Insel knapp über dem Meeresspiegel.
    »Hier sind wir nah genug am Wasser«, knurrte Nectovelin. Er ließ das schwere Zelt in den Sand fallen. Agrippina sah, dass der unter dem Zelt gefangene Schweiß auf seinem Rücken den Leibrock schwarz gefärbt hatte.
    Mandubracius jauchzte auf. »Fangt mich, wenn ihr könnt!« Er rannte mit blitzenden Beinen zum Meer, eine Explosion zehn Jahre alter Energie. Er war so blass, dass er wie ein Gespenst aussah,
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