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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs
Autoren: Mark Frost
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meines Verstandes bringt, ist die Möglichkeit, daß meine übrigen Bücher, die ich wirklich mit meinem Herzblut geschrieben habe, infolge der fanatischen Gefolgschaftstreue, die mein Frankenstein aus der Baker Street erzeugt hat, womöglich niemals die gerechte Betrachtung finden werden, die jeder Autor sich vor dem Gericht der öffentlichen Meinung erhofft. Ich tröste mich mit dem Gedanken, daß meine sogenannten persönlichen Schriften sich wahrscheinlich auf keinem anderen Bord als auf den Bodenbrettern meiner Seekiste finden würden, wäre Mr. H. nicht gewesen.
    Aber was die brennende Frage angeht, die mir gestern abend wieder energisch gestellt wurde, wie es bei jeder anderen Gelegenheit geschieht, da ich mich in der Öffentlichkeit zu zeigen geruhe (unter anderem, eine abscheuliche Situation, mit aufgesperrtem Mund, entblößtem Hals und angesichts scharfer Instrumente in den Händen des Inquisitors – mein kürzlich abgestatteter Besuch beim Zahnarzt), so bleibt die Antwort unerschütterlich:
    Nein, nein und nein.
    Es wird keine Wiederauferstehung geben. Der Mann ist fünfundsechzig Meter tief in eine Felsenschlucht gestürzt. Irreparabel zerschmettert, ohne jede vernünftige Hoffnung auf Genesung. Toter als Julius Cäsar. Den Göttern der Logik muß man Respekt zollen.
    Ich frage mich, wie lange ich diese Leute noch daran erinnern muß, daß der Mann nicht nur tot ist, sondern eine fiktive Figur: Er kann auf ihre Briefe nicht antworten, er wohnt nicht wirklich im Hause 221b Baker Street, und er kann ihnen letzten Endes überhaupt nicht dabei behilflich sein, jenen hartnäckigen Rest von Geheimnis, der ihre Tage verdüstert – wenngleich mein ernsthafter Rat an sie immer noch der ist, daß sie einmal auf dem Baum nachschauen sollten, wenn die Miezekatze wirklich verschwunden ist. Hätte ich nur einen halben Shilling für jedes Mal erhalten, da man mich gefragt hat, ob er … aber wenn ich es mir recht überlege, so habe ich das vermutlich.
    Was erwartet mich im Hinblick auf SHs Tod in Amerika? Wie ich höre, brennt dort die Leidenschaft für Holmes noch heißer. Aber die erregende Aussicht darauf, den Fuß auf jene Gestade zu setzen, sollte jegliche Mißhelligkeit aufwiegen, die durch Sherlocks Sprung in die Tiefe hervorgerufen werden könnte. Die Vereinigten Staaten und die Amerikaner beschäftigen meine Fantasie schon seit Kindertagen: ihr Ungestüm, der treibende Wille, der über dem atemberaubenden Fortschritt der Neuen Republik die Peitsche schwingt, sollten mir als starke und belebende Arznei dienen.
    Fünf Monate im Ausland: Meine liebe Frau ist nicht annähernd so kräftig, wie sie mich gern glauben machen möchte, aber fest entschlossen, dafür zu sorgen, daß meine Karriere den Fortschritt macht, den diese Reise repräsentiert. Sei’s drum: Meine frustrierende Unfähigkeit, ihre Beschwerden zu lindern, bringt keinem von uns beiden Frieden. Diese verdammte Krankheit wird ihren unvermeidlichen Lauf nehmen, meiner Bemühungen ungeachtet, und die Distanz zwischen uns wächst unabhängig von meinem Aufenthaltsort: Je mehr ich mich in die Welt hinausbewege, desto weiter zieht sie sich daraus zurück. Einstweilen wird die Energie, die sie darauf verwendet, mich zu bestärken, besser darauf gerichtet werden, ihre eigenen Reserven zu mobilisieren. Letzten Endes muß sie ihre Schlacht allein schlagen.
    Also kein Bedauern. Die kommenden Tage werden schnell vergehen, wie sie es immer tun; ich werde meine Amerika-Tournee durchführen und bald genug wieder bei meinen Lieben zu Hause sein. Mein kleiner Bruder Innes wird einen prächtigen Reisegefährten abgeben: Zwei Jahre bei den Royal Fusiliers haben bei dem Jungen Wunder gewirkt. Als ich heute abend beobachtete, wie er mir im Garrick zur Verteidigung beisprang, wurde mir klar, daß Innes mich stark an den hitzköpfigen jungen Hecht erinnert, der ich selbst vor zehn Jahren war, als ich für kurze Zeit in der Gesellschaft eines Mannes reiste, der mir lebhafter und unvergleichlicher in Erinnerung ist als irgend jemand sonst, den ich im Leben kennengelernt habe.
    Unser Zug nach Southampton geht bei Tagesanbruch, und morgen mittag stechen wir in See. Ich freue mich auf eine friedliche, ununterbrochene Woche des Luxus und der Entspannung.
    Bis dahin, liebes Tagebuch …
    »Innes, gib diese Taschen dem Gepäckträger, dafür ist der Mann hier; rasch, beweg dich –«
    »Wir haben noch reichlich Zeit, Arthur«, sagte Innes und hob einen Koffer hoch.
    »Nein, nicht
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