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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit
Autoren: Stefan Schomann
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Umgebung wohl: »Ich bin lebhaft an diesem Kolonisationswerk interessiert und hoffe, bald in dieses Land zurückzukehren.« Die Siedler müssen indes erfahren, dass die Zustände in Algerien nicht so rosig sind, wie die Versprechungen der Agenten es ihnen Glauben machten. Es kommt zu Spannungen mit den Einheimischen, Missernten und Krankheiten machen ihnen zu schaffen. Henry Dunant, wie er sich mittlerweile schreibt, veröffentlicht daraufhin »im Interesse der Wahrheit« zwei Berichte im Journal de Genève , in denen er kritischen Behauptungen über das Projekt entgegentritt. Außerdem erwähnt er noch, er habe in Sétif einen jungen Mann aus Schwaben kennengelernt, »dessen Charakter und Leumund vollstes Vertrauen verdienen«.
    Hier taucht zum ersten Mal eine Bezugsperson aus Deutschland auf. Jener Henri Nick aus dem Allgäu betätigt sich in Sétif als Getreidegroßhändler und führt zudem eine kleine Bank. Befeuert durch Dunant, wird er später einer der ersten deutschen Rotkreuzmitarbeiter. Beide sind Mitte zwanzig, protestantischen Glaubens und erfüllt von Pioniergeist. Heute würden sie sich wohl als »Expats« titulieren, als junge Fachkräfte, die im Ausland ihre Karriere starten, dabei aber mehrmals im Jahr nach Hause kommen. Bei den römischen Ruinen von Mons wollen sie eine Mühle errichten und Getreide verarbeiten. Sie gründen die Aktiengesellschaft von Mons-Djémila, beantragen eine Konzession für fünfzig Hektar und beginnen mit dem Bau, als hätten sie die Landrechte schon in der Tasche. Nick soll die Erschließung voranbringen, Dunant das Kapital und die Genehmigungen beschaffen. Ein typisches Start-up-Unternehmen jener Jahre – mehr auf Verheißung denn auf Erfahrung gegründet.
    Krieg und Wahrheit
    Der Zeitpunkt könnte ungünstiger nicht sein. Die internationale Konjunktur bricht dramatisch ein, als im Sommer 1853 ein Krieg beginnt, der ganz Europa nachhaltig erschüttert. Seinen Ausgang nimmt er im sogenannten Heiligen Land. Die russisch-orthodoxe Kirche will mehr Einfluss auf die dortigen Gotteshäuser nehmen, was sowohl der Türkei wie auch Frankreich widerstrebt. Tatsächlich aber geht es vor allem um den Zugang zum Mittelmeer. Das Zarenreich sieht sich einer bunt gemischten Allianz gegenüber, zu der neben dem Osmanischen Reich, England und Frankreich auch noch das Königreich Sardinien stößt. Hinzu kommen etwa zehntausend deutsche Söldner.
    Es ist ein Krieg mit deutlich verbesserten, will heißen tödlicheren Gewehren, mit Dampfschiffen und Sprenggranaten, Schreibtelegrafen und Seekabeln, Reportern und Fotografen – der erste moderne Krieg mithin, im Grunde bereits ein früher Weltkrieg, erstrecken sich die Kampfhandlungen doch von der Walachei bis nach Kamtschatka. Die Schätzungen über die Zahl der Opfer schwanken zwischen 150000 und 500000. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass ungleich mehr Soldaten durch Hunger, Seuchen und die katastrophale medizinische Versorgung umgekommen sind als im Gefecht. Die neuartige Kampfweise des Stellungskrieges bedingt, dass Massen von Männern monatelang in provisorischen Quartieren und auf engstem Raum leben müssen. Typhus, Skorbut und Cholera wüten in beiden Lagern.

    Der Krimkrieg forderte etwa 165000 Tote. Fast zwei Drittel davon starben durch Krankheiten und Seuchen, durch Hunger und Kälte.
    © DRK
    Zum ersten Mal begleiten Kriegsberichterstatter moderner Prägung das Geschehen. Vor allem englische Korrespondenten setzen Maßstäbe. Auf russischer Seite lassen die Sewastopoler Erzählungen eines jungen Offiziers aufhorchen: »Sie sehen hier entsetzliche Szenen, sehen den Krieg nicht in seiner schönen und glänzenden Form, mit wehenden Fahnen und Generälen auf tänzelnden Pferden, sondern in seiner wirklichen Gestalt mit Blut, Qualen und Tod.« Der noch unbekannte Autor, Leo Tolstoi, bewährt sich als teilnehmender Beobachter. »Der Held meiner Erzählung, den ich mit allen Kräften meiner Seele liebe, ist – die Wahrheit.« Tolstoi und Dunant haben mehr gemein als nur den Rauschebart im Alter. Beide Männer sind im selben Jahr geboren und gestorben, beide kommen aus der Oberschicht und engagieren sich für Bedürftige, beide führen im Alter ein Eremitenleben mit einer Neigung zum politischen Spiritismus. Vor allem aber haben sie das gleiche monumentale Lebensthema: Krieg und Frieden.
    Zum berühmtesten Helden des Krimkriegs avanciert eine Krankenschwester: Florence Nightingale, »die Lady mit der Lampe«. Die Szene, wie sie, selbst
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