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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition)
Autoren: Kate Rhodes
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Linienschiffe beleuchteten die Themse, deren Oberfläche schwarz und ölig war. Gott weiß, wie viele Geheimnisse sie darunter verbarg. Ich trabte langsam nach Hause und genoss den Endorphin-Kick – die Belohnung der Natur dafür, dass man sich beinahe umbrachte.
    Als ich nach Hause kam, war der uralte VW-Bus meines Bruders nirgendwo zu sehen. Für gewöhnlich stellte Will das Ding unweit des Providence Square auf meinem Parkplatz ab, aber vielleicht hatte er beschlossen, ihn einmal woanders hinzustellen und mit all seinen Problemen jemand anderem auf den Keks zu gehen.
    Die Sicherheitstür unseres Hauses stand mal wieder offen. Eine Frau hatte im zweiten Stock eine Reflexzonenmassagepraxis aufgemacht, und ihre Patienten dachten einfach nie daran, die Tür hinter sich zuzuziehen. Ich nahm die Treppe in den dritten Stock, und als ich in meine Wohnung kam, zwinkerte mir das rote Licht des Anrufbeantworters zu.
    »Hast du vielleicht deinen Bruder irgendwann in letzter Zeit einmal gesehen?«, fragte die Stimme meiner Mutter leicht erzürnt, bevor sie wie gewohnt vollkommen ruhig und emotionslos weitersprach: »Ich rufe dich morgen noch mal an, weil ich jetzt bei den Phillipsens zum Abendessen eingeladen bin.«
    Die nächsten beiden Nachrichten waren von Sean.
    »Das Einzige, woran ich denken kann, bist du, nur mit roten Seidenstrümpfen an, in meinem Bett«, klärte er mich seufzend auf. »Wenn du das hier abhörst, Alice, ruf mich bitte umgehend zurück.«
    Ich löschte alle Nachrichten und ging danach den Inhalt meines Kühlschranks durch – ein Ciabatta-Brötchen, das schon knochentrocken war, ein Stück Mozzarella sowie eine halbe Riesentafel Schokolade, schnitt ein paar getrocknete Tomaten klein, strich ein wenig Pesto auf das trockene Brot, gab zwei dicke Scheiben Käse drauf, schob das Kunstwerk unter den Grill und flegelte mich gemütlich auf die Couch. Heute Abend würde ich mein Handy ausschalten, mich mit der Schokolade in die Badewanne legen und danach alleine schlafen gehen.

2
    Als ich davon aufwachte, dass jemand an die Tür von meiner Wohnung klopfte, lag mein ungegessenes Brot noch vor mir auf dem Tisch. Das Geräusch war leise, doch beharrlich, und wer es auch immer war gab bestimmt nicht einfach auf. Als ich schließlich öffnete, stand dort Sean mit einem Sonnenblumenstrauß und einer Tüte voller Styroporkartons. Er gab mir einen langen Kuss, schob sich dann an mir vorbei in meine Küche, und wie immer war es mir einfach nicht möglich, seinem Charme zu widerstehen. Sean war groß, hatte leuchtend blaue Augen, ein ebenmäßiges Gesicht und war mit seinen zweiunddreißig Jahren genauso alt wie ich. Ich weiß nicht, warum es mich immer störte, dass ich heiße Lust empfand, sobald ich ihn nur sah.
    »Du solltest mich anrufen, Alice.« Sean legte die Blumen auf den Tisch.
    »Ich wollte heute Abend einfach mal allein zu Hause sein. Wie spät ist es überhaupt?«
    »Halb neun.« Er sah mich mit einem schmalen Lächeln an. »Himmel, du bist echt ein harter Brocken. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich glatt denken, dass du mich nicht ausstehen kannst.«
    Ich warf einen Blick auf die struppigen gelben Blüten. »Wo in aller Welt wächst solches Zeug im Januar?«
    »Eine geradezu obszöne Zahl umweltschädlicher Flugstunden von hier entfernt.«
    »Du Schuft. Lass mich nur schnell duschen, danach werde ich versuchen, nett zu dir zu sein.«
    Das fast kochend heiße Wasser brachte mich wieder ins Gleichgewicht, und als ich aus der Wanne stieg, fühlte ich mich beinah wieder wie ein Mensch.
    Als ich aus meinem Bademantel glitt, lehnte Sean im Türrahmen und starrte mich mit großen Augen an. »Meinetwegen brauchst du dich nicht extra anzuziehen.«
    Ich ignorierte ihn, zog einen Seidenpulli über meinen Kopf und zwängte mich in eine enge Jeans.
    In der Küche packte er das Essen aus.
    »Vom Vietnamesen, mein Lieblingsessen!« Ich rieb mir die Hände.
    »Klare Brühe, Klebreis und Ente in Ingwersauce.«
    »Hmm.«
    Die Ente war perfekt, und ich genoss das leichte Kribbeln, das das feurige Chili in der Sauce auf der Zunge hinterließ. Gierig schaufelte ich einen riesengroßen Berg der Köstlichkeit in mich hinein.
    »Wie schaffst du es, so dünn zu bleiben, Alice?«, fragte Sean.
    »Das liegt an meinen Genen.« Schließlich legte ich die Stäbchen weg und sah ihn an. »Na, was hast du heute so gemacht?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Dasselbe wie jeden Tag. Ich habe Marvin Gaye gehört und dabei Leute
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