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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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zurück in die Tasche und ging zum Fenster, um meine heiße Milch zu trinken. Meine Großmutter musste aus diesem Fenster geblickt und Valentine auf seinem Hof beobachtet
haben, genau wie ich nun Jude zusah, der eine weitere Kiste zu seinem Pick-up trug. Meine Eltern hatten das Land nach Valentines Tod geerbt, und selbst jetzt, über zwanzig Jahre, nachdem sie es an Jude Garibaldi verkauft hatten, graste ihre kleine Rinderherde noch dort, wo sie es schon getan hatte, als meine Eltern das Land mit Valentine zusammen bestellt hatten. Undeutlich konnte ich die Umrisse der verfallenen Holzhütte, die einst Valentine gehört hatte, und eines weiteren, zweistöckigen Farmhauses ausmachen, das nie fertiggestellt oder bewohnt worden war. Bereits damals, als ich darin spielte, während meine Eltern mit meinem Großonkel Kaffee tranken, war es baufällig gewesen. In dem Haus gab es unzählige lose Dielen, und ich hatte sie auf der Suche nach Schätzen mit einem Hammer aufgestemmt. Einmal fand ich eine von Onkel Valentines alten MacDonald’s-Tabakdosen unter einem der Bodenbretter, doch sie war derart verrostet, dass ich sie nicht öffnen konnte. Enttäuscht, kein Zehncentstück oder Murmeln entdeckt zu haben, ließ ich die Dose einfach dort liegen und verschwendete keinen weiteren Gedanken daran.
    Eine Bewegung, ein tanzender Schatten auf den schmutzigen Glasflächen, zog meine Aufmerksamkeit auf das uralte Gewächshaus meiner Großmutter. Die alte Frau? Ich durchwühlte die Küchenschubladen nach einer Taschenlampe, schlüpfte dann in meine Laufschuhe und trat auf die Veranda. Der Fliederbusch neben mir war das ganze Jahr über mit einer Weihnachtslichterkette geschmückt, und ich steckte deren Kabel in die Steckdose, die sich an der Außenmauer des Hauses befand. Der Busch flammte auf und tauchte die Umgebung in ein warmes Licht. Jude überquerte gerade seinen Hof und trug eine weitere Kiste zu seinem Wagen. Als er die Lichter am Fliederbusch erstrahlen sah, blieb er stehen und
verlagerte das Gewicht des Umzugskartons, um mir zuzuwinken. Ich winkte zurück. Er sah einen Moment in meine Richtung, bevor er wieder zu seinem Pick-up eilte.
    Ein kleiner Schuppen bildete den Eingang zu dem Gewächshaus, und während ich ihn durchschritt, schob ich Spinnweben aus dem Weg. »Hallo?«, fragte ich und leuchtete die Ecken mit der Taschenlampe aus. In den Regalen an der Wand stapelten sich Blumentöpfe. Unter meinen Füßen knirschten getrocknete Erde und Keramikscherben, der Geruch nach Staub und Rauch hing in der Luft. Eine Spinne huschte über meinen Handrücken, und nach einem kurzen Moment, in dem ich die Panik und das köstliche Kribbeln genoss, schüttelte ich das Tier ab. Dann betrat ich das Gewächshaus. Es war leer. Meine Mutter hatte hier seit dem Tod meiner Großmutter nichts mehr angebaut. Maud hatte den Herzanfall im Gewächshaus erlitten, und mein Vater hatte sie hier auf dem schmutzigen Boden gefunden.
    Da vernahm ich das Rasseln von Schlüsseln in einer Hosentasche und leise Schritte auf der Kieseinfahrt. Schnell trat ich ins Freie. »Jude, bist du’s?« Die Schritte hielten inne. Ich ließ den Blick über die dunkle Einfahrt schweifen - trübe Rauchschwaden im Schein der Taschenlampe -, konnte jedoch niemanden sehen. Wieder hörte ich die Schritte, die in meine Richtung kamen. Erschrocken rannte ich auf die Veranda und in die Küche, warf die Tür hinter mir zu und schloss hastig ab. Schwer atmend lauschte ich, ob mir die Schritte auf die Veranda gefolgt waren. Als ich mich schließlich von der Tür wegdrehte, bemerkte ich, dass der Schaukelstuhl meiner Großmutter hin- und herwippte. Jede einzelne Herdplatte war angeschaltet und glühte rot.

2.
    ALS ICH MEINEN Sohn am nächsten Morgen zum Frühstück in die Küche brachte, saß meine Mutter Beth im Schaukelstuhl ihrer Mutter und schrieb hastig mit einem lilafarbenen Kindermalstift, der nach grünen Äpfeln roch, auf einen kitschigen, mit Schmetterlingen verzierten Notizblock. Judge Judy waltete ihres Amtes im Fernseher, der auf einem Rollwagen vor meiner Mutter stand. Zu ihren Füßen hockte die uralte schwarze Katze, der ich den Namen Harrison gegeben hatte und die wie ein Hund mit einer Leine am Tischbein angebunden war, damit sie nicht aus der offen stehenden Tür rannte. Diese Katze war meine Schuld. Jude hatte sie mir als kleines Kätzchen geschenkt, und ein Jahr später, als ich nach Vancouver zog, um wieder zur Uni zu gehen und nicht mehr an Jude oder unsere
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