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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald
Autoren: Matt Haig
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an ihrem Platz zu halten, nun vollständig gelöst hatte. Auch die anderen beiden Riemen waren nicht mehr so fest, wie sie hätten sein sollen, sodass die Stämme auf der Ladefläche gefährlich hin und her sprangen.
    Nach kurzer Zeit hatte sich auch der zweite Riemen gelöst,
und es war nur eine Frage der Zeit, wann der dritte folgen würde. Als das geschehen war, trat das Unvermeidliche ein - die Baumstämme begannen, von der Ladefläche zu rutschen.
    Während sie auf die Brücke zusteuerten, behielt Samuel unablässig den Schwertransporter im Auge.
    Wenn sie ihre Geschwindigkeit beibehielten, hatte er errechnet, dann würden sie genau in dem Moment unter der Brücke hindurchfahren, in dem sich der Holztransporter auf ihr befand.
    Als die ersten Stämme auf die Straße fielen, war ihm also die Gefahr, in der sie schwebten, sofort bewusst.
    »Halt an, Dad!«
    »Was ist los, Samuel?«
    »Halt den Wagen an! Die Baumstämme! Sie fallen! Halt an!«
    »Wovon redest du?« Sein Vater machte nicht die geringsten Anstalten, den Wagen zum Stehen zu bringen.
    Der erste Stamm durchbrach ungefähr 100 Meter vor der Brücke die Leitplanke und begann, einen Abhang hinunterzurollen, der in ein Feld neben der B642 überging.
    »Stopp! Halt an!«
    »Samuel?« Seine Mutter fügte seinem Namen stets ein Fragezeichen hinzu, wenn sie verärgert war.
    »Stopp! Stopp!!!«
    Doch das Auto fuhr weiter, die Stämme fielen weiter von der Ladefläche und seine Schwester sang weiter.
    »Happy birthday to me …«
    »Stopp!«
    »Samuel?«
    »Wir können doch hier nicht anhalten.«
    »Happy birthday to me … «
    »Seht ihr denn nicht …?« »Was?«

    »Die Stämme … Sie rollen den Abhang runter.«
    »Happy birthday to Martha … «
    »Stämme? Was für Stämme?«
    »Also wirklich, Samuel. Manchmal übertreibst du ein bisschen.«
    »Happy birthday to … «
    Das war der Moment. Der Moment, in dem sich Samuels Vater endlich zu bremsen entschloss. Der Moment, in dem der letzte der zehn Holzstämme von der Tragfläche stürzte und die Leitplanke durchbrach.
    Nur dass dieser Baumstamm nicht den Abhang hinunterrollte, sondern von der Brücke fiel und direkt auf das Auto stürzte, das sich genau auf diesem Abschnitt der B642 befand.
    Krach!
    Er landete auf dem vorderen Teil des Dachs. Der enorme Stamm einer Schottischen Kiefer, die schon dreihundert Meilen zurückgelegt hatte und auf ihrem Weg zu einer Papierfabrik in Lincolnshire war.
    In weniger als einer Sekunde - seit der Stamm auf das dünne Metall geprallt war - verloren Samuel und Martha ihre Eltern, während sie selbst im unbeschädigten hinteren Teil des Wagens vollkommen unverletzt blieben.
    Samuel hielt die Hand seiner Schwester umklammert, während sie unbeweglich auf ihren Plätzen verharrten. Sie standen zu sehr unter Schock, um sich zu bewegen. Oder zu sprechen. Oder überhaupt einen Laut von sich zu geben. Sie hatten binnen einer Sekunde größeres Grauen gesehen als im Laufe ihres ganzen bisherigen Lebens.
    Keiner von ihnen wusste, wohin sie an Marthas Geburtstag hatten fahren wollen. Sie wussten nur, dass nichts jemals wieder so sein würde wie zuvor.

Tante Eda
    A ls ihre Eltern von einem riesigen Baumstamm erschlagen wurden, war das nicht die erste Begegnung, die Samuel und Martha mit dem Tod hatten.
    Tatsächlich hatte ein Großteil ihrer Verwandten zu Lebzeiten der beiden Kinder das Zeitliche gesegnet, wenn diese auch meist nicht persönlich anwesend gewesen waren.
    Sie waren zum Beispiel nicht vor Ort, als ihr Großvater einen Herzanfall erlitt, während er eine Schachtel mit dekorativen kleinen Gartenzwergen in seinen Garten trug. Oder als Großmutter zwei Monate später über einen dieser Zwerge stolperte und kopfüber ins Gewächshaus stürzte.
    Auch den tödlichen Stromschlag, der ihren Onkel Derek ereilte, als dieser versuchte, einen Brotkrümel aus dem Toaster zu fischen, erlebten sie nicht persönlich. Ebenso wenig den Zusammenbruch von Tante Sheila, die mit ihrem Kopf gegen den Türstopper krachte, nachdem sie fünf Richtige im Lotto gewonnen hatte.
    Sie waren auch nicht dabei, als ihr norwegischer Onkel Henrik … Tja, die Geschichte mit Onkel Henrik war überaus mysteriös.
    Im Gegensatz zu den anderen Todesfällen hatten Samuel und Martha nie erfahren, woran Onkel Henrik eigentlich gestorben war. Von seinem Leben hatte man ihnen allerdings auch nicht viel mehr erzählt.

    Onkel Henrik kam aus Norwegen, dem Land, aus dem auch Samuels und Marthas Mutter Liv stammte und
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