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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald
Autoren: Matt Haig
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diesem Monstrum herzuckeln«, sagte ihr Dad und meinte den Holztransporter.
    Samuel fragte sich, worin die große Überraschung bestand. Er hoffte auf einen Ausflug zu einem Freizeitpark, wie sie ihn
an seinem letzten Geburtstag unternommen hatten. In der Achterbahn würde Martha das Singen schon vergehen, jedenfalls vorübergehend. Sein Vater und er waren mit dem »Katapult« gefahren, dessen Geschwindigkeit für eine absolute Gesichtsstarre sorgte. Samuel hatte jede Sekunde der rasenden Fahrt genossen, und sein Vater hatte dasselbe behauptet, bis er plötzlich auf die Toilette lief und sein Mittagessen erbrach. (Elternlüge Nr. 910.682)
    Doch Samuel argwöhnte, dass die Überraschung etwas viel Langweiligeres als ein Freizeitpark sein würde. Er dachte an all den Schwachsinn, für den Martha sich interessierte:
    Pferdereiten …
    sich frisieren …
    ihr Geld für Schrottmusik aus dem Fenster werfen …
    Schrottmusik hören …
    Schrottmusik singen …
    Angesichts ihrer Interessen beschränkte sich die Tagesgestaltung also auf folgende Möglichkeiten: Entweder sie würden auf einem Gaul herumtrotten, oder er müsste mit ansehen, wie seine Schwester sich von einem todschicken Friseur die Haare schneiden ließ, oder sie würden - schlimmstenfalls! - eine Musik-Show besuchen. Vielleicht sogar eine Musik-Show über einen Friseur, der zum Springreiter wurde und sein Pferd besang.
    Samuel schmunzelte über die Schreckensvision, die er sich da zusammenfantasiert hatte.
    Tuuuuuut!
    Sein Tagtraum von singenden Springreitern endete abrupt, als sein Vater die Hupe betätigte.
    »Das darf doch wohl nicht wahr sein!«, schimpfte er und blinkte.
    »Peter, was machst du da?«, fragte die Mutter.
    »Ich biege ab oder willst du etwa den ganzen Tag hinter diesem Schwertransporter bleiben? Und hast du gesehen, wie
sie die Stämme befestigt haben? Würde mich nicht wundern, wenn da noch ein Unfall passiert.«
    »Aber wir kennen uns in dieser Gegend doch gar nicht aus.«
    »Im Handschuhfach ist eine Karte.«
    Oh, oh.
    Samuel und Martha wussten, was das bedeutete. Sie wussten, dass sich ihre Eltern für geraume Zeit massiv in die Haare kriegen würden, weil sie sich nie darüber einigen konnten, wo sie hätten abbiegen sollen.
    »Okay«, sagte ihre Mutter. »Wir müssen auf die B642 kommen. Haltet Ausschau nach der B642, Kinder.«
    »B642«, sang Martha. »B
    2.«
    6
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    Das Auto umrundete dreimal einen Verkehrskreisel, bis Samuel die B642 erblickte, die sich in Klammern auf einem schmalen grünen Schild versteckte.
    »Da ist sie«, sagte er.
    Das Auto verließ den Verkehrskreisel, worauf es nur fünf Minuten dauerte, bis der übliche Abbiegestreit im Gang war. Samuel starrte erneut aus dem Fenster, und das Geburtstagskind trällerte wieder seine Lieder, während die Auseinandersetzung der Eltern ihren Anfang nahm und sich zu einem handfesten Streit auswuchs.
    »Links!«
    »Was?«
    »Zu spät. Wir hätten da hinten links abbiegen sollen.«
    »Warum hast du mir das nicht früher gesagt? Du hast schließlich die Karte.«
    »Aber ich hab dir doch Bescheid gesagt.«
    »Du hättest mir Bescheid sagen sollen, bevor wir die Kreuzung mit der Ampel erreicht hatten.«

    »Auf dieser blöden alten Karte ist wirklich nichts zu erkennen.«
    Samuel fragte sich, was an einer Karte blöd sein konnte. Dann dachte er an den Baum, der zu dem Papier geworden war, aus dem die Karte bestand. Vielleicht war das die Rache des Baumes.
    Wie auch immer, sie hatten die Ausfahrt verpasst und vorerst keine Chance, die B642 wieder zu verlassen.
    »Wenn wir weiter geradeaus fahren, können wir nachher wieder zurück zur Schnellstraße«, sagte Samuels Mutter, nachdem sie die Karte studiert hatte.
    »Na großartig!«, erwiderte Samuels Vater. »Dann sind wir ja wieder da, wo wir herkamen.«
    » Du wolltest doch schließlich abbiegen.«
    »Wäre alles kein Problem gewesen, wenn du eine Straßenkarte lesen könntest.«
    »Oh, nein!«, stieß Samuels Mutter aus.
    »Was ist los?«
    »Unsere Straße kreuzt die Schnellstraße nicht, sondern führt unter ihr hindurch.«
    Zur Bekräftigung ihrer Worte tauchte in diesem Moment hinter der nächsten Kurve eine große Brücke auf, die sämtliche Fahrzeuge der Schnellstraße über die B642 hinwegschickte.
    Samuel sah zu seiner Linken, wie der LKW in einem Bogen auf die Brücke hinauffuhr. Er sah jedoch nicht - denn dazu hätte es hellseherischer Fähigkeiten bedurft -, dass sich der lockere graue Riemen, der dazu beitrug, die Stämme
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