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Im Schatten des Ringes

Im Schatten des Ringes

Titel: Im Schatten des Ringes
Autoren: Cynthia Felice
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Mann, der Euch gerade eine leckere Mahlzeit serviert hat.“ Tränen traten ihr in die runden Augen, und sie biß sich wieder auf die Lippen. Sie nahm das Tablett und richtete sich schwerfällig auf.
    Ich war völlig verblüfft. Mir verschlug es die Sprache. Sie hatte nicht nur einen zusammenhängenden Satz in menschlicher Sprache gesprochen, sondern in der Wahl ihrer Worte auch deutlich werden lassen, daß sie den subtilen Unterschied zwischen Gut und Böse vollauf begriff. Sie hatte sich aufgerichtet und war bereits davongerannt, ehe ich mich soweit wieder in der Gewalt hatte, um zu reagieren. „Manya!“ rief ich. „Komm zurück!“ Gehorsam kehrte sie um und näherte sich mit demütig niedergeschlagenen Augen. „Laß den Tee hier“, sagte ich.
    Manya kniete sich nieder, setzte den Teekessel wieder ins Kohlebecken und steüte die Tasse neben mich. Ihre Hände zitterten.
    „Ein Mann, der mit einer Sklavin schläft, ist eine Sache; ein Mann, der es nicht tut, ist eine andere Sache“, sagte ich.
    Ihre Augen blitzten – und diesmal konnte ich es genau erkennen – vor Zorn, doch sie hielt ihre Zunge im Zaum, da sie zweifellos annahm, schon jetzt zu weit gegangen zu sein. Ich war von ihrem Verhalten zu fasziniert, um sie zu rügen.
    „Setz dich.“ Ich sagte dies mit sanfter Stimme und in einem Tonfall, von dem ich hoffte, daß er nicht überheblich klang. Ich wollte sie fragen, ob sie schon jemals mit einem Menschen das Lager geteilt hatte. Das Stadtvolk verdächtigte die Besatzungsmächte solcher Ungeheuerlichkeiten, jedoch lag das zum wesentlichen Teil daran, daß wir alle nur zu bereit waren, jede Untat für bare Münze zu halten, die man ihnen unterschob. Ich fragte Manya jedoch nicht, denn ich erkannte, daß sie Gefühle hatte, und wo Empfindungen sind, da gibt es auch Stolz. „Dein Herr sagte mir, du könntest mir helfen, Einzelheiten der Himmelsbrücke zu erkennen. Die Wolken haben sich nahezu vollständig aufgelöst. Sag mir, was du siehst.“
    Sie hockte sich auf die Knie, studierte mich einen Moment lang und meinte dann: „Es ist ein Bogen von einem Horizont zum andern. Er scheint nahezu schwarz zu sein und verfügt über keinerlei erkennbare Charakteristika.“
    „Du hast gar nicht hinaufgeschaut“, sagte ich. „Und es gibt bestimmte Merkmale. Sogar ich kann sie erkennen.“
    „Ihr seht nichts anderes als Höhenwolken, werte Dame“, sagte sie. „Sie sind wie Rauchschwaden, und sie bewegen sich nicht so schnell.“
    Ich musterte sie mit einem finsteren Blick. Ich hatte keine Ahnung, ob es tatsächlich Wolken gab, die so hoch am Himmel dahinzogen, daß ich sie nicht einmal als Wolken erkennen konnte. Ich hätte es auf jeden Fall bisher nicht für möglich gehalten, daß Wolken in solche Höhen vordringen könnten. „Wie viele hohe Berge kannst du zwischen hier und dem Immernachtgebirge erkennen?“ fragte ich argwöhnisch.
    „Die Spitzen der ersten Bergkette befinden sich vor dem Immernachtgebirge. Ich kann sie nicht alle sehen.“
    „Aber kannst du die vorgelagerte Bergkette sehen?“ fragte ich. Ich konnte es jedenfalls nicht.
    „Ja. Ich erkenne die Fünf Brüder, die Krone, und zwischen ihnen sehe ich den großen Gletscher.“
    Ich spürte irgendwie, daß sie nicht log, denn wahrscheinlich hatte sie viel zuviel Angst vor einem Menschen, um ihm die Unwahrheit zu sagen. Ich holte mein Pergament und den Zeichenstift hervor. „Blicke jetzt auf die Stadt, Manya, und beschreibe mir so genau wie möglich, was du siehst.“
    Sie tat es, und ich begann mit der Zeichnung der ersten Landkarte, die aussah, als würde ein Gott auf die Stadt hinunterblicken. Mein Auftrag dieser Zwienacht wurde so noch besser und vollkommener ausgeführt, als Rellar und ich es je für möglich gehalten hätten.
     
2
     
    Es war unsere schlimme Epoche, beherrscht vom Tieflandkönig, unser eigener König degradiert zu einem Soldatenprinzen und unsere Zukunft mehr als unsicher. Diese Dinge machten uns gegenüber dem fremden Kaufmann überaus mißtrauisch. Er war nicht nur ein Tiefländler und daher von vornherein verdächtig, sondern er hatte auch keinerlei Vorrechte. Wir hatten Adel, wir hatten Bauern, wir hatten den Tempel und dessen Hüterinnen, und wir hatten Akadem, und jedes dieser Elemente füllte eine Nische in unserer abgeschiedenen Gebirgsgemeinschaft. Wir hatten keine Kaufleute, und wir fürchteten uns vor jeglicher Veränderung. Aber trotz unserer Ängste veränderten wir uns ständig.
    „Hast du die neuen
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