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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes
Autoren: Evita Wolff
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anreden, aber irgendwie war die Situation nicht danach.
»Ja, Madam.«
Er sah ihnen nach, sie kletterten in den Kombi, der Motor brummte, und bald war der Wagen fort.
    In einem scharf geschnittenen Halbrund stand der Mond am Himmel. Er sandte sein Licht durch die Fenster des Hausflurs aus buntem Glas, als Eric endlich die Tür zu seiner Wohnung aufschloß. Die hölzernen Dielen, die unter jeder kleinen Belastung zu ächzen pflegten, wisperten nur schwach unter seinem leichten Schritt – schon vor vielen Jahren hatte er sich diesen geschmeidigen Gang angewöhnt, der Pferde wegen, mit denen er arbeitete.
    Eric ging in die geräumige Küche. Ohne Licht zu machen, tastete seine Hand nach der Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug, die auf dem großen Kiefernholztisch an ihrer gewohnten Stelle lagen. Er nestelte eine Zigarette hervor und zündete sie an. Tief zog er den Rauch ein, verfolgte dessen Weg im Geiste bis in die unterste Region seiner Lungen, und hatte gar kein schlechtes Gewissen dabei. Mitunter war eine Zigarette eben notwendig.
    Wie heute. Müde wie er war, konnte er doch nicht abschalten. Er rauchte zu Ende und hielt, am offenen Küchenfenster stehend, stumm Zwiesprache mit dem Mond, dem Leitstern seit seiner Kinderzeit. Als die Glut den Filter der Zigarette erreichte, tat er die Kippe in den Aschenbecher, schloß das Fenster, streifte seine Kleidung ab, warf sie in den Weidenkorb in dem winzigen Zusatzraum, der ihm als Waschküche diente, und ging ins Bad. Die Schiebetür der Duschkabine schloß fest, sein Vormieter hatte ganze Arbeit geleistet. Das Wasser schoß über ihn, warm und entspannend, prickelte auf seiner Kopfhaut, spülte den Schaum weg, der Dreck und Schweiß gelöst hatte.
    Die Unruhe aber, die konnte nichts wegspülen: Emily Fargus wollte, daß er sich um eine ihrer Stuten kümmerte. Er war aufgeregt wie vor einem ersten Rendezvous.
    »Es macht Ihnen wirklich nichts aus, Mr. Gustavson? Es ist eine ziemlich weite Fahrt.«
Eine ganze Stunde lang hatten sie miteinander gesprochen, und Mrs. Fargus war noch immer nervös. Eric war ganz ruhig. Der Pferdeanhänger mit Lance war angekoppelt; seine Bedingung war erfüllt worden.
Ruhig sagte er: »Ich wollte Schottland schon immer mal kennenlernen, Madam.«
»Ja.« Sie glitt hinter das Lenkrad, steckte den Sicherheitsgurt ein und sagte: »Ja, das freut mich. Es ... es ist schön. Wunderschön. Ich hoffe, Sie werden es mögen.«
»Na ja«, meinte Turner vom Rücksitz aus, »allerhand Schafe und Hügel und so weiter.«
»Und die marchairs – die fangen doch jetzt an zu blühen, Mrs. Fargus?«
»Die marchairs – o ja! An einem frühen Morgen, oder auch mitten in einer Vollmondnacht –« Sie brach ab, als habe sie schon zuviel gesagt.
»Marchairs«, verlangte Turner ungeduldig von hinten – er war immer ungeduldig, wenn er nicht tätig sein konnte –, »was, zum Teufel, ist marchairs? !«
»Das sind die Wiesen auf den Ausläufern der Felsen, die in den Atlantik ragen. Ein wahres Blumenmeer breitet sich da im Sommer aus. Sie werden es sehen«, erwiderte Emily Fargus leise. »Sie werden es sehen und kaum für wahr halten, so schön ist es.«
Voller Neugier nahm Eric die ihnen entgegensausende Landschaft auf. Jemand hatte ihm erzählt, Schottland sei so kahl und stumpf wie ein nasser Felsen – aber da waren in ihrem Blätterschmuck glänzende Bäume, üppig wuchernde Blumen, satte Wiesen, da waren lebhafte Bäche, sprudelnde Flüsse, überschäumende Wasserfälle. Eric verrenkte sich mitunter beinah den Hals, um den Eindruck eines Anblicks ein wenig länger in sich aufnehmen zu können. Es gab wenig Verkehr, und alles in allem war dies eine freundliche, stille Idylle. Und natürlich gab es neben zahlreichen Kaninchen tatsächlich eine Unmenge Schafe, und sie trugen zu dieser Idylle bei. Wie Wattebäusche sah man sie auf den schattigen grünen Weiden, wie nicht ernst zu nehmende Wächter versperrten sie manchmal die Straße.
Im Rahmen des Studiums hatte er viel über sie gelernt, aber dieses Wissen schlummerte in ihm, da er es nie brauchte. Pferde waren die Liebe seines Lebens, und was für ein unverschämtes Glück war es, daß die Arbeit mit ihnen ihm seinen Lebensunterhalt sicherte. Spezialisiert wie er auf Pferde war, auf ihre typischen Krankheiten und Anfälligkeiten, und auf ihre Psychosen und Neurosen, hoffte er, daß die Arbeit mit ihnen genügend Geld einbringen würde, um einmal seinen großen Traum zu ermöglichen – ein eigenes Gestüt zu
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