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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes
Autoren: Evita Wolff
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seines Reiters auf dem Nacken, und der Trab wurde leichter, raumgreifender. »Siehst du, jetzt wird's.« Er verstand die Worte nicht, aber er hörte den sanften Klang, die Aufrichtigkeit – das war keiner, der ihn beschwatzte. Der Mann, der auf ihm saß, der ihm Arbeit abverlangte, der Mann, der ihn dazu veranlaßte, Dinge zu tun, vor denen er sich fürchtete – dieser Mann war derselbe, der ihm Hafer und Heu brachte, der seine Box sauberhielt und abends leichtes, frisches Stroh darin aufschüttete. Dieser Mann sprach zu ihm mit einer warmen, freundlichen Stimme und streichelte ihn. Und manchmal lehnte sich der Mann auch gegen ihn, ganz zutraulich, wissend, daß er seine Kraft niemals gegen ihn einsetzen würde.
»Ecken machen gar nichts. Sie sind eben da. – So – ja, schön. Und ganz hinein. Schön.« Die Stimme beflügelte die Schritte des Hengstes, die goldfarbenen Beine hoben und streckten sich beinah unbeschwert, der Rhythmus des Trabes wurde weicher, aber nicht schneller. Und wieder war da die geliebte Hand, die Liebkosung auf seinem Nacken.
Ein Jahrhundertpferd für den Dressursport – so hatte die Fachpresse Sir Lancelot noch vor wenigen Monaten genannt.
Während eines Turniers, gerade als er aus leicht anmutender Piaffe in das schmale Eck der Dressurbahn einbog, war ein Rottweiler unvermutet auf ihn zugeschnellt und hatte beim Anprall einen Schmerz in seinen Schultermuskel gerissen, so daß Sir Lancelot seine Reiterin aus dem Sattel warf. Fetzen von Erinnerungsbildern waberten noch immer in ihm, Laute und Gerüche: das Schreien, der Geruch von Blut.
Es gab kein Entkommen für ihn aus diesem Viereck, das die Menschen ersonnen hatten, er ertrank in diesem Meer von Gesichtern, wurde überflutet von Rufen und Schreien, von hektischen Bewegungen um ihn. Der Instinkt des Hengstes hatte ihm trotz seiner Angst befohlen, seine Reiterin zu verteidigen. Er hatte sich über ihr aufgebäumt, um den Hund anzugreifen. Doch im Niederkommen vermochten seine Augen Hund und Mensch nicht mehr zu unterscheiden.
Darauf gab es das übliche Geschrei in der Presse – »Pferd tötet Reiterin!« – und Sir Lancelot wurde als bösartig abgestempelt: Zum Teufel mit seinem hervorragenden Stammbaum, zum Teufel mit seinen hervorragenden Leistungen. Vergessen der Glanz, vergessen das Staunen der Fachkundigen über das Vermögen des gerade Neunjährigen. Sir Lancelots Schicksal schien besiegelt – Notschlachtung aus triftigem Grund, nur mehr verwertbar als Hundefutter.
Simon Turner, Sir Simon, Lord of the Mount of Kingsley, zufälliger Zeuge des unheilvollen Auftritts, erwarb das Pferd zum Spottpreis und brachte es zu Eric. Simon Turner hatte eine Nase für schwierige, aber hochgezüchtete und wertvolle Pferde, die er günstig erwerben konnte, und er hatte in Eric den Spezialisten, der seit seiner Kinderzeit seine unvergleichliche Einfühlungsgabe und ebenso seine Reitkunst kultiviert und ausgearbeitet hatte und aus »Ausschuß« wieder Hochleistungspferde machen konnte. Eric beherrschte jede Disziplin. Er hatte den Dressursport in den Fingerspitzen, er warf sein Herz über jedes Hindernis, das ein verängstigtes Pferd nicht springen wollte, er war ein wagemutiger Militaryreiter und ein hervorragender Polospieler. Sein Leben war den Sportpferden gewidmet. Der einstige Waisenjunge, der sich von klein auf unwiderstehlich von Pferden angezogen fühlte und alles, was mit dem Pferdesport zusammenhängt, gelernt hatte, war einen weiten Weg gekommen. Jetzt war er M.R.C.V.S., ein qualifizierter Tierarzt, auf traumatisierte Pferde spezialisiert.
»Und noch einmal die Ecke, ja, so, schön unverkrampft, streck nur deinen schönen Hals, hier hast du den Zügel – schön machst du das, schön.« – Er sprach leise. Der Hengst blies in den Sand der Reitbahn, seine Tritte blieben weich, sein Hals streckte sich in der Entspannung – schwarze Schatten flüchteten in diesen Augenblicken aus seiner Erinnerung.
»Wunderbar, so ist es gut, nicht wahr, gut? Gut, auch für dich?«
Der goldfarbene Hengst zog das Kinn näher an die Brust, sein Nacken wölbte sich, seine Beine traten sicher und geschmeidig unter seinen gesammelten Leib, ganz wie einst, als ein anderes warmes, verstehendes Wesen auf ihm gesessen und zu ihm gesprochen hatte. Er wußte, alles war wieder richtig. Alles war richtig, denn er war im Einklang mit seinem Reiter.
Und dann kam da etwas Schattenhaftes heran – er war nicht ängstlich, aber aufmerksam, etwas in ihm lauschte dem
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