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Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Autoren: Jürgen Rath
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einen großen Tintenklecks aufs Papier zu zaubern. Und wenn es nicht der Federkiel war, der das Blatt verunstaltete, so war es eine Träne der Verzweiflung, die aufs Papier tropfte und die Tinte verwischte.
    Moritz schlich wieder zu Harms, um sein Arbeitsergebnis vorzulegen. Der Vorsteher reichte ihm mit steinerner Mine ein weiteres weißes Blatt.
    Moritz starrte auf das Pult und dachte über seine verzweifelte Lage nach.
    Damals, beim großen Brand, hatte das Unglück begonnen. Er war knapp dreizehn Jahre alt gewesen und hatte seinem Vater und seinem großen Bruder bei der Quartiersmeisterei schon gut mithelfen können. Natürlich konnte er noch keine schweren Lasten schleppen, doch er hatte ein ausgezeichnetes Zahlenverständnis und konnte sich auch über längere Zeit gut konzentrieren. Genau diese Eigenschaften wurden von einem Tallymann, dem Ladungszähler, erwartet und Moritz war ein guter Tallymann, der sich nie, tatsächlich nie, bei den Fässern, Säcken und Ballen verzählte, die in den Speicher eingeliefert oder herausgegeben wurden. Für ihn war die Welt in Ordnung, und sie hätte so weiterbestehen können, bis er alt genug gewesen wäre, Quartiersmannlehrling zu werden.
    Doch dann war dieser unsägliche 5.   Mai 1842 gekommen. Sein Vater, Johann Forck, arbeitete an diesem Tag auf dem oberstenStockwerk des angemieteten Speichers am Alten Wandrahm, Jan, der Bruder, war von einem der unteren Böden heraufgekommen.
    »Brennt es immer noch?«, hatte er aufgeregt gefragt.
    Fest und schwer wie ein Standbild war der Vater dagestanden und hatte zur brennenden Stadt hinübergeschaut. Schließlich führte er die Hand zum Mund, feuchtete den Zeigefinger an, hielt ihn aus der Luke heraus. »Ja, es brennt noch, doch hier besteht keine Gefahr. Wir haben Südwind, der treibt die Flammen von uns weg zum Alsterbecken hin.«
    Am zweiten Tag des Brandes hatte mit einem Mal der Kaufmann Schröder auf dem obersten Boden gestanden, niemand hatte ihn heraufkommen hören. Der Vater begrüßte den Besucher freundlich; man kannte sich und hatte mehrfach Geschäfte zur beidseitigen Zufriedenheit gemacht.
    »Du musst mir helfen, Johann Forck«, stieß Caesar Schröder hervor, ohne sich mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln aufzuhalten. »Wir liegen am Rande der Feuersbrunst. Wenn der Wind dreht, geht alles in Flammen auf: mein Haus und, was noch schlimmer ist, meine Waren im Speicher am Ness.«
    Der Quartiersmann nickte. »Das lässt sich machen. Wir haben noch Platz im Speicher, und ich habe rechtzeitig eine Schute organisiert. Aber ich brauche Leute, meine Söhne reichen nicht.«
    »Leute habe ich genug«, sagte Schröder schnell. »Kapitän Westphalen kann mir seine Seeleute schicken.«
    Der große Brand wütete vier Tage und legte ein Viertel der Stadt in Asche. Glücklicherweise blieben sowohl das Handelshaus Schröder   &   Westphalen als auch der Speicher des Quartiersmanns Forck verschont.
    Nachdem die Güter zum Ness zurück transportiert worden waren, war Caesar Schröder erneut im Speicher erschienen. »Du hast mein Geschäft gerettet, Johann Forck«, sagte er mit Pathos in der Stimme. »Dafür hast du einen Wunsch frei. Wenn es mir irgendwie möglich ist, werde ich ihn dir erfüllen.«
    Der Quartiersmann überlegte nicht lange. »Ich will kein Geld, aber wenn mein Sohn als Commis bei Ihnen in die Lehre gehen könnte, wäre ich zufrieden.«
    »Wann?«, fragte der Kaufmann.
    »Im nächsten Jahr. Nach Ostern, wenn er eingesegnet worden ist.«
    Die Männer gaben sich die Hand, damit war es beschlossen.
    Moritz hob den Kopf, überrascht vom ungewohnten Lärm im Kontor. Die angespannte Stimmung, die seit dem Besuch des Klabautermanns geherrscht hatte, hatte sich in einem Streit zwischen den beiden Kontoristen entladen. Alexander Schröder, der nicht nur in der Körperfülle, sondern auch in den Ansichten seinem Vater nachzueifern versuchte, war mit dem hitzköpfigen Roger Stove aneinandergeraten.
    »Du musst endlich einsehen, du neunmalkluger englischer Dandy«, rief Alexander erregt, »dass Holz ein bewährter Werkstoff ist. Nicht umsonst hat schon Noah seine Arche aus Baumstämmen gefertigt.«
    »Vielleicht ist es den Hamburgern noch nicht aufgefallen«, höhnte Roger, »dass sich die Zeiten seit dem Alten Testament geändert haben. Zumindest in England ist man schon ein gutes Stück weiter. Man baut seit einem halben Jahrhundert Schiffsmaschinen aus Eisen, und sicherlich hätte Noah seine Arche ebenfalls mit einer
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