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Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Autoren: Jürgen Rath
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sollte nicht mitkommen. Mein Vater sagt immer, dass ein Arbeiter nichts am Jungfernstieg zu suchen hat.«
    »Dein Vater ist ein Arbeiter, Moritz. Aber du bist Lehrling in einem Handelshaus. Später wirst du einmal ein richtiger Kaufmann sein, dann musst du wissen, wie man sich unter reichen Leuten bewegt.«
    Moritz blickte aus dem Fenster zur Straße hinunter, wie kurz zuvor auch Caesar Schröder. Die Vierländerin stand immer noch an ihrem Platz. Der hat gut reden, dachte er, er ist der Sohn eines Londoner Bankiers. Er ist nur hier, um den Geschäftsbetrieb in Hamburg kennenzulernen.
    Sie schlenderten den Neuen Wall entlang und bogen in den Jungfernstieg ein. Die breite Allee mit ihren noch jungen Bäumen war voller Menschen, eingehüllt in lange Mäntel und Pelzcapes, denn es war eisig kalt an diesem Februartag. Roger grüßte nach links und rechts und flüsterte den jungen Damen, die sich bei ihren Freundinnen untergehakt hatten, Artigkeiten zu. Moritz kam sich reichlich überflüssig vor. Er registrierte, dass die Demoiselles erröteten und dass die eine oder andere interessierte Blicke auf Roger warf. Das wiederum konnte er gut verstehen, denn der junge Commis war nach der neuesten englischen Mode gekleidet. Er trug seine gepflegten, braunen Haare schulterlang und zeigte ein offenes Lächeln.
    »Kennst du all diese Leute?«, fragte Moritz.
    Roger lachte amüsiert. »Natürlich nicht. Aber man muss Kontakte knüpfen, Moritz. Die Menschen müssen sich erinnern, dass sie dich schon einmal gesehen haben. Das ist gut fürs Geschäft. Und es massiert die Seele.«
    »Was nützt es dir, wenn die Hamburger Bürger dich kennen? Du bist doch bald wieder in London.«
    Roger grüßte einen vornehmen Herrn, der mit seiner Frau über den Jungfernstieg flanierte. »Das ist der Kaufmann Laeisz«, sagte er. »Er ist ein Kunde unserer Bank. Wir vergeben auch Kredite auf dem Kontinent. Vielleicht braucht er irgendwann Geld für ein neues Schiff. Es gibt jetzt Dampfschiffe, die ganz aus Eisensind. Die sind teuer, doch sie sind die Zukunft. Für die Reeder und auch für uns Bankiers.«
    Moritz blieb vor Empörung stehen. »Ein Schiff aus Eisen? Du willst mich auf den Arm nehmen. Eisen schwimmt nicht. Ich habe noch nie so einen Unsinn gehört.«
    »Du hast recht: eine Eisenstange schwimmt nicht. Aber ein eisernes Schiff schwimmt. Ich habe in London selbst eines gesehen. Mein Vater hat es finanziert. Und mein Vater würde nie sein Geld für ein Schiff hergeben, das nicht schwimmt.«
    Tief in Gedanken ging Moritz neben Rodger her. Ein Schiff aus Eisen? Undenkbar! Andererseits: Roger war kein Aufschneider. Er war zwar Commis mit einer Schwäche für hübsche Mädchen, aber normalerweise erzählte er keinen Unsinn. Er war Mitglied im angesehenen »Verein zur Förderung der nützlichen Künste«, dem Patriotischen Verein. Und sicherlich hatte er auch Kontakt zu diesem genialen Ingenieur Lindley, schließlich waren beide Engländer.
    Am Nachmittag legte Moritz die letzten Kohlen in den Ofen und holte einen neuen Vorrat aus dem Keller. Nachdem er sorgfältig seine Hände gereinigt hatte, stellte er sich wieder ans Pult, um einen Brief abzuschreiben, der am nächsten Tag verschickt werden sollte. Doch Schreiben war eine Arbeit, die er überhaupt nicht liebte und die er auch nicht besonders gut konnte. Aber er wusste, dass sie fast die Hälfte der Tätigkeiten in jedem Kontor ausmachte, und deshalb malte er mühsam, mit ungelenken Fingern, Buchstabe für Buchstabe auf das Blatt. Trotz seiner Sorgfalt sah das Ergebnis aus, als wäre ein hinkendes Huhn übers Papier gelaufen.
    Zögerlich ging er zum Kontorvorsteher hinüber. Harms rückte den Kneifer zurecht, schaute auf das Papier, schüttelte den Kopf, wischte mit einem riesigen Schnupftuch auf dem Kneifer herum, blickte wieder hindurch, schüttelte noch einmal den Kopf. Er betrachtete seinen Lehrling mit einem Ausdrucktiefer Verzweiflung, griff dann in eine Schublade und überreichte Moritz wortlos ein neues, unbeschriebenes Blatt.
    Der versuchte es erneut, doch wie viel Mühe er sich auch gab, ständig strebten die Zeilen am rechten Rand irgendwo gen Himmel. Und dann die einzelnen Buchstaben: Es gelang ihm zwar inzwischen, sie einigermaßen lesbar zu Papier zu bringen, doch sie wurden immer noch unterschiedlich groß, und nicht eines der Zeichen befand sich auf der gleichen Höhe wie sein Vorgänger. Darüber hinaus hatte der Federkiel die bösartige Angewohnheit, am Ende jedes Schreibens
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