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Im Schatten der Akazie

Im Schatten der Akazie

Titel: Im Schatten der Akazie
Autoren: Christian Jacq
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Kolossalstatue stehen, die aus einem einzigen Block Rosengranit herausgemeißelt worden war und den Namen »Ramses, Licht der Könige« trug, noch vor der Akazie, die er im Jahre zwei seiner Herrschaft gepflanzt hatte, sondern strebte unverzüglich dem Audienzsaal zu, in dem sich die fremdländischen Gesandten versammelt hatten.
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    Mit blitzenden grünen Augen, einer zierlichen Nase und einem edel geformten Mund über dem nur schwach ausgeprägten Kinn war Iset die Schöne, wiewohl sie die Fünfzig bereits überschritten hatte, noch immer eine lebhafte Frau heiteren Gemüts. Die Jahre vermochten ihr nichts anzuhaben, sie war so anmutig und verführerisch wie eh und je.
    »Ist der König endlich aus dem Tempel herausgekommen?«
    erkundigte sie sich bei ihrer Leibdienerin.
    »Bis jetzt noch nicht, Majestät.«
    »Die Gesandten werden sicher schon zornig!«
    »Keine Sorge, Majestät. Den Pharao sehen zu dürfen ist eine solche Gunst, daß es niemand wagen wird, ungeduldig zu sein.«
    Den Pharao sehen zu dürfen … Ja, das war wirklich die größte Gunst! Iset erinnerte sich noch an ihr erstes Stelldichein mit Prinz Ramses, diesem ungestümen jungen Mann, dem die Macht damals verwehrt schien. Wie glücklich waren sie in der Schilfhütte am Rande eines Weizenfeldes gewesen, in der sie heimlich ihre Lust ausgekostet hatten! Dann war die erhabene Nefertari aufgetaucht und besaß, ohne es selbst zu wissen, alle Eigenschaften, die eine Große königliche Gemahlin brauchte.
    Ramses hatte sich nicht in ihr getäuscht. Dennoch war Iset die Mutter seiner Söhne Kha und Merenptah geworden. Für kurze Zeit hatte sie
    ihm gegrollt, aber da sie sich selbst nie zugetraut hätte, die erdrückenden Aufgaben einer Königin zu übernehmen, trachtete sie nur danach, wenigstens in bescheidenem Maß am Leben des Mannes teilzuhaben, den sie bis zum Wahnsinn liebte.
    Weder Nefertari noch Ramses hatten sie zurückgewiesen. Als
    »zweiter Gemahlin« kam ihr nach dem Zeremoniell bei Hof das unvergleichliche Vorrecht zu, sich in der Nähe des 16

    Herrschers aufzuhalten, ein Dasein in seinem Schatten zu führen. Manche meinten zwar, sie vergeude ihr Leben, doch Iset kümmerte sich nicht um derlei Besserwisserei, sie war lieber Ramses’ Dienerin als die Gemahlin irgendeines törichten, dünkelhaften Würdenträgers.
    Nefertaris Tod hatte sie in tiefe Betrübnis gestürzt, zumal die Königin keine Rivalin gewesen war, sondern eine Freundin, für die Iset Achtung und Bewunderung empfunden hatte. Weil sie wußte, daß kein Wort den großen Schmerz des Königs zu lindern vermochte, blieb sie schweigsam und unauffällig im Hintergrund.
    Und da geschah das Unfaßbare.
    Nachdem Ramses am Ende der Trauerzeit mit eigener Hand die Tür zu Nefertaris Grabstätte verschlossen hatte, bat er Iset die Schöne, seine neue Große Königsgemahlin zu werden.
    Kein Herrscher konnte allein regieren, denn das Amt des Pharaos erforderte es, die Grundregeln männlichen wie weiblichen Seins miteinander in Einklang zu bringen.
    Nie wäre die schöne Iset auf den Gedanken verfallen, Königin von Ägypten werden zu wollen, und der Vergleich mit Nefertari erschreckte sie, aber der Wille des Pharaos duldete keinen Widerspruch. Also hatte Iset sich gefügt, trotz ihrer Angst. Nun war sie »die Anmutvolle, die süß in der Liebe ist, die Horus und Seth schaut, die Herrin der Beiden Länder, die Königin von Oberund Unterägypten, deren Stimme alle, die sie hören, mit Freude erfüllt« … Diese überlieferten Titel bedeuteten ihr jedoch nichts. Das wahre Wunder bestand für sie darin, daß sie fortan Ramses’ Leben, seine Hoffnungen und seine Nöte mit ihm teilen sollte. Iset war die Hauptgemahlin des größten Herrschers geworden, den es je auf Erden gegeben hatte, und das Vertrauen, das er in sie setzte, war für sie Glück genug.
    »Seine Majestät schickt nach dir«, sagte die Leibdienerin.
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    Die von zwei hohen Federn überragte Geierhaube auf dem Haupt, in einem langen weißen Kleid, das in der Taille von einem roten Gürtel zusammengehalten wurde, und mit einem Halskragen sowie Armspangen aus Gold geschmückt, begab sich die Große königliche Gemahlin zum Audienzsaal. Da sie einer adligen, begüterten Familie entstammte, war sie darin unterwiesen worden, wie sie sich bei öffentlichen Zeremonien vorteilhaft zur Geltung brachte. Dieses Mal, und das wußte sie, würde sie gleich dem Pharao die unnachsichtigen Blicke aller Würdenträger auf sich ziehen.
    Iset die
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