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Im Land des Roten Ahorns

Im Land des Roten Ahorns

Titel: Im Land des Roten Ahorns
Autoren: Claire Bouvier
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Mitleidsmiene, die er aufgesetzt hatte, verriet Jaqueline, dass er bereits gehört hatte, was vorgefallen war.
    »Guten Morgen, Herr Fahrkrog«, entgegnete sie kühl. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich habe mich gefragt, ob Ihr Vater mich wohl zu solch früher Stunde empfangen würde. Wie geht es ihm denn?«
    Angesichts dieser Falschheit hätte Jaqueline ihm am liebsten die Tür vor der Nase zugeknallt. Sie brauchte einen Moment, bis sie sich so weit gefasst hatte, dass sie antworten konnte: »Mein Vater ist in der vergangenen Nacht verstorben.«
    »Oh, ist er das?« Zögerlich streckte der Geldverleiher Jaqueline eine Hand entgegen. »Mein Beileid.«
    Jaqueline blickte angewidert auf seine Rechte, die in einem schwarzen Handschuh steckte. Auf dem Leder waren deutlich Flecke zu erkennen. Erwartet er etwa, dass ich seine Hand nehme, obwohl er nicht mal den Anstand besitzt, den Handschuh auszuziehen?
    »Was auch immer Sie wollen, Sie werden später wiederkommen müssen«, erklärte sie ungehalten. »Ich habe noch keine Aufstellung der Verbindlichkeiten machen können. Außerdem werde ich das unserem Anwalt überlassen.«
    Als Jaqueline die Tür zuschlagen wollte, schob Fahrkrog schnell den Fuß zwischen Türrahmen und -flügel. Im nächsten Augenblick versetzte er der Tür einen Stoß, der die junge Frau nach hinten taumeln ließ.
    »Aber, aber, wer wird denn so unhöflich sein?«, flüsterte er drohend, während er sich ins Haus zwängte.
    »Was fällt Ihnen ein?«, fuhr Jaqueline ihn an, nachdem sie sich wieder gefasst hatte. »Ich habe Sie nicht hereingebeten!« Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und ihre Hände zitterten. Was hatte der Kerl vor?
    »Das haben Sie tatsächlich nicht, aber ich bin nun mal so frei«, entgegnete Fahrkrog, während er auf sie zukam. Die Tür hinter ihm fiel mit einem Knall ins Schloss.
    Jaqueline zuckte zusammen. Verschwinden Sie!, hätte sie ihm am liebsten entgegengeschleudert, aber sie brachte vor lauter Panik kein einziges Wort heraus. Sie war sich dessen bewusst, dass ihr niemand helfen würde, sollte Fahrkrog handgreiflich werden.
    »In der Tat bin ich gekommen, um mich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen, was mein Geld betrifft«, sagte er, während er sie weiter zurückdrängte. Schließlich prallte sie gegen das Treppengeländer.
    »Ich sagte doch schon, dass unser ... mein Anwalt -«, presste sie hervor.
    Der Knauf des Gehstocks, den der Geldverleiher ihr unters Kinn setzte, brachte sie augenblicklich zum Schweigen. Jaqueline erschauderte, als er so dicht heranrückte, dass sie seinen fauligen Atem riechen konnte.
    »So lange kann ich nicht warten! Wir leben in schweren Zeiten und müssen alle sehen, wie wir mit dem Buckel an die Wand kommen.«
    Wieder musterte er sie, diesmal so gierig, wie ein Hungernder ein Brathühnchen beäugte.
    »Ich war bereit zu warten, als Ihr Vater krank war, doch Sie sind gesund, wie ich sehe. Sie können mir das Geld zurückzahlen.«
    Endlich brachte Jaqueline den Mut auf, den Stock beiseitezuschieben und seitlich auszuweichen. Zorn und Furcht tobten in ihr. Erneut schielte sie zur Tür, aber Christoph ließ sich noch immer nicht blicken.
    »Ich kann Ihnen das Geld nicht auf der Stelle geben«, sagte sie schließlich. »Sie werden ebenso wie die anderen Gläubiger warten müssen, bis der Anwalt den Nachlass auflöst.«
    Fahrkrog schien nicht zuzuhören. Er leckte sich über die wulstig aufgeworfenen Lippen und drängte sich ihr erneut entgegen.
    »Nun, vielleicht könnte ich von der Zahlung eines Teils der Schulden absehen, wenn Sie mir einen kleinen Gefallen täten ...«
    Jaqueline ahnte, worauf er hinauswollte. Wütend kniff sie die Augen zusammen. Hält der mich für ein Mädchen aus der Herbertstraße?, fragte sie sich erbost. Ich bin keine aus diesem Sündenpfuhl!
    »Niemals!«, fuhr sie ihn an. »Ich verzichte auf Ihr ... Angebot!«
    Ein triumphierendes Lächeln trat auf Fahrkrogs Gesicht. »Oh, ich glaube nicht, dass Sie verzichten können«, raunte er und griff nach ihrem Arm. »Und ich will es auch gar nicht.«
    Jaqueline entwand sich augenblicklich seinem Griff. Mit einem Schlag war ihre Kehle wie ausgetrocknet. Während ihr Herz raste, suchte sie fieberhaft nach einer Möglichkeit, dem Kerl zu entrinnen. Der Schürhaken vom Kamin fiel ihr ein.
    »Na, was ist?«, fragte Fahrkrog, während er den Stock abstellte und sich aus seinem Gehrock schälte.
    Unter den Ärmeln seines Hemdes bemerkte Jaqueline große Schweißflecke. Der
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