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Im Land des Roten Ahorns

Im Land des Roten Ahorns

Titel: Im Land des Roten Ahorns
Autoren: Claire Bouvier
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davon abhalten, alles zu pfänden, was irgendeinen Wert besaß. Vielleicht würden sie ihr sogar das Elternhaus wegnehmen.
    Seufzend wandte Jaqueline sich dem Schreibtisch zu. Ihr Blick fiel auf den Abreißkalender, der immer noch den 7. Dezember 1874 zeigte, obwohl mittlerweile der 14. Januar 1875 war. So lange hatte ihr Vater also nicht mehr an seinem Schreibtisch gesessen.
    Nachdem sie kurz entschlossen den alten Kalender in den Papierkorb geworfen hatte, betrachtete sie die Landkarte, die unter der Glasplatte lag.
    Es handelte sich um eine Kopie der ersten Karte, die ihr Vater als junger Entdecker gezeichnet hatte. Die Ostküste Nordamerikas war vielleicht nicht so exakt dargestellt wie auf späteren Arbeiten, aber dennoch konnte man deutlich erkennen, was Anton Halstenbek im Sinn gehabt hatte.
    Liebevoll strich Jaqueline über die Platte und gestattete sich die Erinnerung an ihren Vater und das Schicksal ihrer Familie.
    Bevor Anton Halstenbek begann, das Kartenzeichnen beruflich zu betreiben, war er lange Jahre in der Welt herumgereist. Zunächst in Amerika, dann in Afrika, Indien und China. Die Geschichten seiner Abenteuer, die er nach seiner Rückkehr zum Besten gab, entzündeten Jaquelines kindliche Phantasie so sehr, dass sie nächtelang nicht schlafen konnte. Mit klopfendem Herzen hatte sie sich vorgestellt, wie es wäre, all diese Länder selbst zu bereisen und dort Abenteuer zu erleben.
    Ihr Vater hatte stets versprochen, sie mitzunehmen, wenn sie alt genug sei - dazu gekommen war es allerdings nie.
    Nach dem Tod seiner Frau stürzte ihr Vater in eine tiefe Seelenfinsternis, die es ihm verwehrte, seiner Arbeit weiter nachzugehen. Zunächst versuchte er, seinen Schmerz mit Alkohol zu betäuben, später entdeckte Jaqueline zu ihrem Entsetzen Opium in seinem Zimmer.
    Ein Jahr lag der erste große Zusammenbruch zurück. Damals hatte Dr. Sauerkamp ihn noch auf den Drogenkonsum zurückgeführt. Dann war allerdings offenbar geworden, dass ihr Vater an Lungenkrebs litt. Der Arzt hatte ihm noch fünf Monate zu leben gegeben, schließlich waren sieben daraus geworden - eine Zeitspanne, in der er immer mehr Schulden angehäuft hatte.
    Jaqueline schob die Gedanken daran beiseite und zog die Schreibtischschublade auf, in der ein Packen Briefe lag. Versonnen strich sie über die Umschläge, die von einer roten Schleife zusammengehalten wurden.
    Sie stammten alle von einem Freund aus Kanada, den ihr Vater auf einer seiner Reisen kennengelernt hatte. In den vergangenen Monaten waren sie der einzige Rettungsanker für Jaqueline gewesen. Nachdem ihr Vater die Diagnose kannte, hatte er ihr aufgetragen, seinem Freund mitzuteilen, wie es um ihn stand. Daraus hatte sich eine rege Korrespondenz entwickelt.
    Alan Warwick, ein Geschäftsmann aus Chatham, einer Stadt im Süden Kanadas, hatte eine sehr angenehme Art zu schreiben. Obwohl Jaqueline ihn noch nie persönlich getroffen hatte, hatte sie das Gefühl, dass er ähnlich dachte wie sie. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie davon träumte, ihn zu treffen. Ob er genauso sanft war wie seine Worte? Und wie sah er überhaupt aus?
    Sie schob diese Fragen beiseite, während sie einen neuen Papierbogen hervorzog, um ihm vom Tod ihres Vaters Kenntnis zu geben. Mit zitternden Fingern griff sie nach dem Federhalter, kam aber nicht mehr dazu, ihn aufs Papier zu setzen, denn plötzlich hämmerte jemand gegen die Haustür.
    Jaqueline erhob sich und trat ans Fenster. Mehr als einen pelzverbrämten braunen Mantel, einen schwarzen Hut und den goldenen Knauf eines Gehstocks, den der Besucher vermutlich zum Klopfen benutzt hatte, konnte sie jedoch nicht erkennen. Die Geier lassen wirklich nicht lange auf sich warten, dachte Jaqueline ahnungsvoll, während sie den Raum verließ. Auf der Treppe wappnete sie sich innerlich.
    Während das Klopfen erneut durch die Eingangshalle tönte, strich sie sich das Haar glatt und richtete ihr Kleid. Einen besonders repräsentativen Eindruck machte sie sicher nicht, aber das würde den Besucher gewiss nicht kümmern.
    Als sie die Tür öffnete, grinste ihr das feiste Gesicht von Richard Fahrkrog entgegen.
    Jaqueline hatte den Geldverleiher, bei dem Anton Halstenbek in der Schuld stand, bereits ein- oder zweimal getroffen, als ihr Vater ihn zu Hause empfangen hatte. Schon auf den ersten Blick war er ihr unsympathisch gewesen. Auch jetzt spürte sie eine tiefe Abneigung gegen ihn.
    »Guten Morgen, Fräulein Halstenbek.« Fahrkrog zog den Hut.
    Die
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