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Im Gefängnis des Glaubens

Im Gefängnis des Glaubens

Titel: Im Gefängnis des Glaubens
Autoren: Lawrence Wright
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ist.
    Der Außenstehende, der nicht nachvollziehen kann, was Scientology in den Augen seiner Anhänger trotz aller Mängel und Widersprüche der Religion (die viele Scientologen widerstrebend anerkennen) derart verlockend macht, vermisst möglicherweise das künstlerische Element. Ältere Religionen sind in ein Gefüge von Literatur, Musik, Zeremonien und Ikonografie eingebettet, das ihren Doktrinen Tiefgründigkeit verleiht und sie in einen Schleier des Geheimnisses hüllt. Die sinnliche Erfahrung in einer atemberaubenden Kathedrale oder Moschee hat nicht unbedingt mit dem »Glauben« zu tun, aber sie zieht die Menschen in den Bann der Religion und bereichert sie emotional. Scientology hat zahlreiche eindrucksvolle Kirchen gebaut, aber diese sind keine Paläste der Kunst. Das wesentliche ästhetische Element von Scientology ist die fesselnde Stimme des Autors L. Ron Hubbard. Mit seinem zugleich gebieterischen und hemdsärmeligen Ton und seinem impressionistischen Verständnis der menschlichen Natur hat er Millionen Leser in seinen Bann geschlagen. Wichtiger ist jedoch die Natur seines Projekts: Es ist das Porträt seiner geistigen Abläufe. Es ist vielleicht unmöglich, die Vorgänge in seinem Verstand psychiatrisch zu diagnostizieren, was teilweise daran liegt, dass seine eigene Darstellung dieser Vorgänge derart komplex, eingehend und umfassend ist. So muss man sich damit begnügen, die Eigenschaften zu betrachten, die ihn dazu bewegten, Stunde um Stunde, Jahr um Jahr damit zu verbringen, seine Einsicht, seinen Wagemut, seinen Narzissmus, seinen Trotz, seine Unermüdlichkeit, seine Fantasie zu beschreiben. Dies sind die Kennzeichen des Künstlers. Das ist einer der Gründe dafür, dass sich Hubbard mit der Gemeinschaft der Kreativen identifizierte und dass sich viele Kreative mit ihm identifizieren.
    Scientology bemüht sich um prominente Figuren, und indem sie das tut, gesteht sie der Berühmtheit einen spirituellen Wert zu. Menschen, die in der Unterhaltungsindustrie Berühmtheit anstreben, fühlen sich von Hollywood angezogen, wo Scientology auf sie wartet. Diese Kirche bestätigt ihre Anhänger in ihrer Ambition und verspricht Neulingen, ihnen den Weg zum Ruhm zu ebnen. Die Organisation hat eine Marketingstrategie entworfen, die sich auf den Einsatz Prominenter für die Scientology-Religion stützt. Sie berichten über den positiven Einfluss von Scientology auf ihr Leben. Als David Miscavige dem Schauspieler Tom Cruise im Jahr 2004 die Freedom Medal of Valor verlieh, pries er seinen Freund als wirkungsvollen Fürsprecher: »In neunzig Ländern hören jede Stunde fünftausend Menschen seine Worte über Scientology.« Es ist schwer nachzuvollziehen, woher Miscavige diese Zahl hatte, aber er verkündete: »In jeder Minute greift ein Mensch zur Technologie von LRH , einfach weil er weiß, dass Tom Cruise ein Scientologe ist.« Es gibt wohl kaum ein Mitglied der Scientology-Kirche, das vergleichbaren materiellen Nutzen aus der Religion zieht wie Cruise. Deshalb trägt der Schauspieler auch besonders große moralische Verantwortung für die unwürdige Behandlung, die viele Sea-Org-Mitglieder erdulden müssen – teilweise, weil sie für Cruise arbeiten. Sieht man von der Ausnahme Paul Haggis ab, so hat kein prominenter Scientologe aus der Filmindustrie seine Stimme gegen körperliche Misshandlung, Gefangenschaft und erzwungene Knechtschaft im Klerus der Scientology-Kirche erhoben, obwohl sich viele dieser Prominenten in aller Stille aus der Organisation zurückgezogen haben.
    Seit Paul Haggis aus Scientology ausgeschieden ist, unterzieht er sich einer Therapie, die er als hilfreich empfindet. Er ist sich der Tatsache bewusst geworden, dass er häufig andere, insbesondere die Menschen, die ihm am nächsten stehen, für seine Probleme verantwortlich macht. »Ich wünschte, ich hätte mit 21 Jahren einen guten Therapeuten gefunden«, sagt er. In Scientology stand er stets unter einem unterschwelligen Druck, seinen Auditor zu beeindrucken und anschließend über große Erfolge zu berichten. Heute sagt er: »Ich mache mir nicht vor, ein besserer Mensch zu sein, als ich tatsächlich bin.« 1233
    Im selben Monat, als bekannt wurde, dass sich Haggis von Scientology abgewandt hatte, kündigte Tom Cruise’ Studio United Artists die Zusammenarbeit mit dem Regisseur. Ich fragte Haggis, ob das etwas mit seinem Austritt zu tun gehabt habe. Haggis dachte kurz nach und antwortete: »Sie tun nichts, was derart offensichtlich wäre
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