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Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst
Autoren: dtv
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lässt.
    Andy pisst sich fast in die Hosen. »Genau! Weißt du noch, im vorigen Jahr, wie er mit dem Fuß im Papierkorb stecken blieb?« Beide johlen lauthals. Und ich, ich sitze da und quäle mir ein Lächeln ab. Wer ist Calhoun?
    Es ist, als wäre ich ein Geist. Ich bin da, aber sie sehen mich nicht. Sie sind weitergezogen, ich bin bloß Luft. Mir wird übel. »Ich muss nach Hause.«
    Sie gucken mich erstaunt an. »Ist doch noch nicht mal acht«, sagt Andy.
    »Mein Vater.« Ich verdrehe die Augen. Tut mir ja leid, dass ich Dad vorschieben muss, aber was soll’s.
    Sie setzen mich zu Hause ab und fahren weiter. Ich schaue hinterher, wie der Todesschlitten um die Ecke biegt, unbekannten Abenteuern entgegen. Einerseits wünsche ich, ich wäre noch bei ihnen, andererseits weiß ich, dass es mir dann noch schlechter ginge.

3
    Mom reicht mir die Kichererbsen. »Und, Sami, was waren heute deine drei Ereignisse des Tages?«
    Willkommen im Esszimmer meiner Familie, will sagen, in der Verhörkammer.
    Die Johnsons essen vor verschiedenen Fernsehern, je nach dem, wer was gucken will. Die Pratts essen alle gemeinsam in der Küche. Da ist richtig Action! Marty, seine Eltern, seine drei jüngeren Schwestern, seineverwitwete Oma mit ihrem kleinen Kläffer Mr Bubbles, die alle hängen mit den Ellbogen auf dem Tisch, quasseln ohne Ende und angeln mit ihren Gabeln auf den Tellern der anderen rum. Mrs Pratt schiebt immer wieder Nachschub vom Herd auf den Tisch rüber und Mr Bubbles hüpft allen auf den Schoß, schleckt Nasen ab und bettelt. Ehrlich, die Pratts könnten Eintritt verlangen.
    Wir Sabiris hingegen sind zivilisiert. Das heißt, wir sitzen am Esstisch, Mom und Dad an je einem Ende. Wir haben Geschirr aus Porzellan, Leinenservietten, Buttermesser und Kerzen, und während des Essens besprechen wir die Ereignisse des Tages, also das, was wir seit dem Frühstück erlebt haben. Dad sagt, so was stärkt die Familienbande. Ich sage, es ätzt ohne Ende.
    Das Ritual mit der Frage nach den drei wichtigsten Ereignissen des Tages wird seit meinem ersten Schultag abgespult. Nur – drei Wochen nach Beginn des neuen Schuljahres ist ein Tag genauso bescheuert wie jeder andere, und was früher mal ein Ereignis war, ist inzwischen so abgelutscht, dass man es einfach vergessen sollte. Will sagen, das einzig Erwähnenswerte in meinem Leben findet morgen statt: meine Fahrt mit Dad nach Toronto. Aber gut, wenn Mom mich unbedingt nerven muss, will ich wenigstens meinen Spaß haben:
    »Meine drei Ereignisse des Tages.« Ich mache eine Pause, tue mir Kichererbsen auf und reiche die Schüssel an Dad weiter. Dann nehme ich einen Löffel Reis und versuche dabei, so viele Rosinen wie möglich zu erwischen. »In der Cafeteria haben heute drei Jungs aus der Zehnten ihre Lasagne ausgekotzt.«
    Mom schließt die Augen. »Bitte, Sami, wir essen.«
    » Wir
haben auch gegessen.«
    »Ich dachte, wir wären uns einig, dass wir nur positive Ereignisse erzählen.«
    »Das
ist
positiv. Im letzten Jahr haben sich gleich am ersten Tag welche übergeben.«
    Mom blickt Dad Hilfe suchend an. »Arman?«
    Dad grummelt gedankenverloren, er konzentriert sich voll und ganz auf seine Kichererbsen.
    Ich will es lieber nicht zu weit treiben. »Okay, was Positives. Seit der dritten Stunde bin ich nicht mehr der größte Streber der Schule. Mitchell Kennedy hat mir den Titel abgenommen.«
    »Ah, Mitchell.« Mom strahlt. »Dein Freund aus der Mittags-Lerngruppe.«
    »Mitchell ist nicht wirklich mein Freund. Und eine richtige Lerngruppe sind wir auch nicht, mehr so eine Art Gurkentruppe. Jedenfalls hat Mitchell schon das ganze Naturkundebuch durchgelesen. Und das hat er heute Mr Carson erzählt. Im Unterricht. Das kam
richtig
gut.«
    »Vielleicht hätte er nicht damit angeben sollen«, sagt Mom. »Aber hart arbeiten schadet nie. Du solltest Mitchell mal zu uns einladen.«
    »Warum?«
    Mom seufzt. »Dann eben nicht.« Sie hält mir die Platte mit dem Pistazienhuhn hin. »Und das dritte Ereignis?«
    Ich riskiere es. »Mr Bernstein ist ein Wunder geschehen.«
    »Mr Bernstein. Das ist dein Geschichtslehrer,stimmt’s? Der ältere Herr, den wir am Tag der offenen Tür kennengelernt haben?«
    »Genau.« Ich reiche ihr die Fleischplatte. »Mr Bernstein hat seit Ewigkeiten graue Haare. Und die sind über Nacht schwarz geworden.«
    Mom lacht. »Ich mag Mr Bernstein.« Sie seufzt. »Er ist so gütig. So angenehm. So stilvoll. Seine Frau kann sich glücklich schätzen.«
    Seine Frau? Mr
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