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Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst
Autoren: dtv
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wir Todesschlitten nennen, wegen seiner vielen Schrammen. Denn Mrs Johnson hält Parkplätze für Autobahnen und steht mit Bordsteinen auf Kriegsfuß. Als Andy im letzten Herbst seinen Führerschein gemacht hat, hat er das Auto von ihr geerbt. In diesem Sommer ist er siebzehn geworden und darf nun ohne irgendwelche Einschränkungen fahren. Er ist frei wie ein Vogel und damit sind Marty und ich es auch.
    Wir lehnen uns an die Motorhaube und essen unser Eis. Ich prahle mit unserem Wochenendtrip. Die Jungs sind neidisch wegen der Spiele und ziehen mich auf.
    »Dein Dad wollte dich umarmen?«, japst Andy. »Echt? Und sich sein Hemd einsauen?«
    »Euch darf man gar nichts erzählen!«
    Marty lacht. »Du hättest dir Sporen aus seinem Labor einfangen können. Dann hättest du im Dunkeln geleuchtet.«
    »Sehr komisch, Marty. Und sehr einfallsreich.«
    Wir schmeißen unsere Eisbecher in die Mülltonne und schlendern rüber zu dem kleinen Park auf der anderen Straßenseite. Dort setzen wir uns auf den Rand des Brunnens und lassen die Füße ins Wasser baumeln.
    Andy und Marty sind seit der vierten Klasse meine Freunde. Davor hatte ich keine, Punkt. Unsere Moschee ist in Rochester, eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt, deswegen konnte ich sonnabends nach der Koranschule nie länger mit den anderen Kindern spielen. Und in der Grundschule habe ich einfach keinen Anschluss gefunden. Die Kinder haben mit den Fingern auf mich gezeigt und dazu Bombengeräusche gemacht. In der Hofpause bin ich drinnen geblieben und habe so getan, als würde ich schlafen. Die Lehrer haben nichts gesagt.
    Alles wurde anders, als Andy aufkreuzte. Es war an einem Sonnabend. Ich war neun, lag am Straßenrand auf dem Bauch und beobachtete einen Ameisenhaufen. Vor dem Nachbarhaus hielt ein Umzugswagen. Männer schleppten Kisten und Möbel und ein klapperdürrer Junge in einem Bart-Simpson- T-Shirt düste im Garten herum, als würden seine Hosen brennen. Eine Frau rief dem Jungen zu: »Ist gut, aber bleib in der Nähe!«
    Und schon war die Bohnenstange verschwunden. Ich nahm an, der Junge wäre zum Mars geflogen oder so, und konzentrierte mich wieder auf meine Ameisen, die gerade den Kopf eines Grashüpfers in ihren Bau schleppten. Plötzlich tauchten ein Paar Turnschuhe direkt vor meiner Nase auf. Ich blickte hoch. Es war Bohnenstange und an seiner Seite stand der pummelige Junge aus unserer Straße, der in meine Parallelklasse ging.
    »Ich bin Andy. Wir ziehen gerade hier ein«, sagte Bohnenstange. »Was meinst du, wer wird Baseballmeister?«
    Ich zog die Nase kraus. »Woher soll ich denn das wissen?«
    Der pummelige Junge aus unserer Straße kicherte.
    »Marty sagt, du heißt Mohammed«, grinste Andy. »Also, wie der Prophet, stimmt’s? Na, und wenn du der Prophet bist, dann musst du doch wissen, wer Meister wird.«
    Ich blickte von Andy zu Marty und wieder zu Andy. »Hä?«
    »Das war ein Witz, Doofmann«, seufzte Andy. »Al so , heißt du wirklich Mohammed?«
    »Na klar«, sagte ich. »Heißt du wirklich Andy?«
    Marty guckte mich an, als hätte ich sie nicht alle. Aber Andy lachte. Und als Marty sah, dass Andy lachte, lachte er auch.
    Andy packte meine Hand und zog mich hoch. »Du kennst doch den Zaun hinter unseren Gärten, oder?«, flüsterte er und blickte dabei über seine Schulter. »Al so , bei uns, hinter den Büschen, da ist unten im Zaunein Loch. Marty und ich wollen da durch, auf den Golfplatz. Kommst du mit?«
    Ich wusste, ich hätte Mom fragen müssen, aber ich wollte mich nicht blamieren. Außerdem waren Mom und Dad Mitglied im Golfclub und beschwerten sich immer über Kinder, die sich auf dem Gelände rumtrieben. Wenn ich Mom gefragt hätte, hätte sie garantiert Nein gesagt, und dann wäre ich nicht bloß eine Pfeife sondern auch noch eine Petze gewesen und hätte niemals Freunde gefunden.
    Ich kratzte mich am Hintern. »Gut.«
    Andy hielt Ausschau nach Erwachsenen, während wir aufs Gelände schlichen, von Baum zu Baum rannten und durch hohes Gras krochen, bis wir zum zehnten Loch kamen. Das liegt in einer Senke, die man vom Abschlag aus nicht einsehen kann. »Hey«, sagte Andy, »wir kriechen rüber und klauen die Golfbälle. Dann schmeißen wir sie ins hohe Gras und gucken, was die Leute für ein Gesicht machen.«
    Das war keine besonders gute Idee, und zwar wegen Mrs Bennet. Die stand nämlich in ihrem Golfmobil und verfolgte Mr Bennets Schläge mit dem Fernglas. Ich hatte nicht gewusst, dass alte Leute so laut schreien können.
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