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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten
Autoren: Veit Heinichen
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gegen ihn gewogen, der zufolge er während eines Raubüberfalls auf ein Mailänder Juweliergeschäft in der Galleria Vittorio Emmanuele alle Spuren mit einer Bombe beseitigt haben sollte und mit ihnen auch die unzähligen Fensterscheiben in der berühmten Einkaufspassage. Die Anklage hatte sich auf die Videoüberwachung gestützt, auf der Einstein eindeutig erkennbar war – allerdings weder als er das Geschäft betrat, noch als er es wieder verließ. Im Übrigen wurden dem Einbrecher, der sein Physikstudium in Triest nie abgeschlossen hatte, große Nähe zu einem Exponenten der Lega Nord und zu einem kalabresischen Clan nachgesagt, der bei den Bautätigkeiten für die EXPO 2015 in Mailand abkassierte. Im Knast von Tolmezzo hatte er Direktor kennengelernt; Robert Unterberger hieß der Zweiundvierzigjährige mit bürgerlichem Namen und stammte aus Bozen, ein skrupelloser Stratege, Schachspieler und ein Pokerass mit abgebrochenem Jurastudium, der die meisten seiner acht Jahre auch in diesem Gefängnis vor den Toren der Kleinstadt am Fuß der Karnischen Alpen abgesessen hatte.
    »Sturmtruppen« nannte sich die Gang aus fünfzehn Männern. Der Titel war einer launigen Comicserie entlehnt, welche die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg während der Besatzung Italiens verulkte, Obrigkeitshörigkeit als Nationalcharakter anprangerte, Essgewohnheiten und aufgezwungene Enthaltsamkeit aufs Korn nahm und vor allem sich über die lausige Schlagkraft ihrer Feinde lustig machte. Das verstanden alle in der Gruppe.
    Sie waren von einem Triestiner mit Stirnglatze rekrutiert worden, der wegen seines blonden Vollbarts und des bis zur Schulter wallenden Haares Arcangelo gerufen wurde, Erzengel; Mimmo Oberdan hieß er offiziell und war mit seinen zweiundfünfzig Jahren der Älteste unter den Männern. Er hatte mehrfach wegen Betrügereien und Körperverletzung eingesessen und war ein alter Kunde von Commissario Laurenti, mit dem er sich duzte, seit sie im gleichen Ruderverein aktiv gewesen waren. Sein Abitur hatte er auf dem Nautischen Gymnasium gemacht, und alle waren davon überzeugt gewesen, dass er später zur See fahren würde. Doch zur Überraschung seiner Eltern war er stattdessen einer Kooperative beigetreten, die im Triestiner Hafen bei der Be- und Entladung der Frachtschiffe tätig war. Mimmo hatte es zum Kranführer gebracht – aufgrund seiner Nebentätigkeiten, wie er die krummen Geschäfte nannte, von denen er einfach nicht die Finger lassen konnte, hatte man ihn nach einigen Jahren aber hinausgeworfen. Seine Verhaftungen, wenn sie Laurenti zufielen, verliefen unüblich und unspektakulär. Der Commissario griff meistens zum Telefon, um den Halunken in eine Bar zu bestellen, wo sie ein paar Gläser Wein zusammen tranken. Währenddessen erläuterte Laurenti ihm den Grund ihres Treffens und übernahm auch die Rechnung, bevor Mimmo ihn widerstandslos und ohne Handschellen begleitete, um wieder einmal für längere Zeit Urlaub vom freien Leben zu nehmen.
    Seit zwei Jahren aber sei er sauber, hatte er behauptet, als er Laurenti vor Wochen zufällig über den Weg gelaufen war. Er habe inzwischen eine Anstellung als Baggerführer bei einer Tiefbaufirma gefunden, welche die Ausschreibung für den Ausbau der Autobahn A4 um eine weitere Fahrspur gewonnen habe. Und deshalb wohne er derzeit im Friaul zur Miete. Zwei Zimmer in einem Gehöft eines kleinen Weilers von nur vierzig Einwohnern und einer einzigen Trattoria, in der es sich aber ordentlich speisen lasse. Das Kuhkaff namens Pampaluna befinde sich nicht allzu weit von San Giorgio di Nogaro entfernt, von wo er es nur ein paar hundert Meter zur Baustelle habe. Gewiss, da sagten sich Fuchs und Hase Gute Nacht, auch nicht die geringsten Versuchungen gebe es dort, sodass er sich restlos auf seine Arbeit konzentrieren könne. Es sei billig, und er brauche Geld. Die Arbeit in der Knastschreinerei sei nun wirklich sittenwidrig schlecht bezahlt gewesen.
     
    Vier benachbarte und mit einfachen Stockbetten ausgestattete Ferienhäuser, zu denen unter windschiefen alten Pinien ein ungepflegter, sandiger Weg führte, gaben den fünfzehn Männern Unterkunft. Mehr als dreimal so viele hatte der Erzengel zur Rekrutierung dem Direktor und Einstein über Monate in karg möblierten und kühl ausgeleuchteten Fastfood-Lokalen öder Einkaufszentren vor den Toren österreichischer Kleinstädte vorgeführt. Einige der Männer, die zu »Sturmtruppen« gehörten, hatten die Sezessionskriege im
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