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Im Bus ganz hinten

Im Bus ganz hinten

Titel: Im Bus ganz hinten
Autoren: Fler
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Bude in Lichterfelde war ziemlich klein. Wir lebten auf engstem Raum: Ich hatte zwar mein eigenes Kinderzimmer, aber meine Mutter und Erich schliefen auf einer ausziehbaren Couch im Wohnzimmer. Für eine Dreizimmerwohnung reichte das Geld damals nicht.
    Eines Abends wollte ich wie immer nicht schlafen gehen. Kurz nach neun Uhr schob mich meine Mutter dann einfach vom Fernseher weg und schrie mir ihren Gutenachtgruß hinterher.
    »Ab ins Bett, und vergiss nicht, dir die Zähne zu putzen!« Sie wollte mich einfach loswerden. Aber so leicht ließ ich mich nicht abschieben. Während ich vorm Badezimmerspiegel stand und mir selbst tief in die Augen blickte, fasste ich den eisernen Entschluss.
    »Ich geh noch nicht ins Bett. Das ist doch was für Langweiler.« Ich spuckte den Zahnpastaschaum ins Becken und rannte wie wild geworden zurück ins Wohnzimmer.
    »Ich bin wieder da«, rief ich, riss beide Arme nach oben und freute mich schon auf eine weitere Rund.
    »A-Team«. Ich wollte auf die Couch springen, sah dann aber, dass meine Mutter und Erich sich gerade einen langen, schlabbrigen Zungenkuss gaben.
    »Bääh, was macht ihr denn da?«, fragte ich angewidert.
    »Geh jetzt endlich schlafen, Patrick. Kannst du nicht ein einziges Mal tun, was ich dir sage?« Meine Mutter war total genervt und jagte mich in mein Zimmer. Ich hörte, wie sie die Wohnzimmertür hinter sich zuzog. Jetzt lag ich da in meinem Bett und hatte erst recht keinen Bock einzuschlafen. Trotzdem machte ich das Licht aus. Ich dachte nach, kam aber auf keinen neuen Plan, wie ich zurück vor den Fernseher kommen könnte. Vor lauter Grübeln fielen mir irgendwann die Augen zu, ich schlief ein. Wenige Minuten später wurde ich wieder geweckt – ich hörte komische Geräusche aus dem Wohnzimmer. Es klang so, als würden irgendwelche Tiere seltsame Laute von sich geben. Außerdem quietschte und knarrte es ganz fürchterlich in einem schnellen Rhythmus. Und das immer lauter. Was ist da los?, fragte ich mich. So was hatte ich noch nie gehört. Ich sprang auf, zog mir meine Hausschuhe an und schlich auf Zehenspitzen zum Wohnzimmer. Die Geräusche wurden immer eigenartiger und schneller. Ich öffnete behutsam die Tür einen kleinen Spalt und sah, wie Erich ohne Klamotten auf meiner ebenfalls nackten Mutter lag und sich ganz schnell bewegte. Die beiden schwitzten. Ich war geschockt. Sie stöhnten und hatten die Augen fest geschlossen. Minutenlang starrte ich hin und wusste nicht, was ich tun sollte. Die beiden bemerkten mich nicht. Muss ich sie retten?, überlegte ich. Die taten sich sonst noch weh, so komisch, wie die jaulten. Völlig gedankenverloren lehnte ich mich an die halb geschlossene Tür und stolperte plötzlich ins Zimmer hinein. Mit einem Knall flog ich der Länge nach hin, und die beiden schreckten auf. Panisch drehten sie ihre Köpfe zu mir. Mama schrie. Erich auch. Und ich gleich mit.
    »Was macht ihr denn da?«, fragte ich und guckte die zwei mit großen Augen an.
    »Gehst du wohl zurück in dein Zimmer«, bekam ich nur zur Antwort.
    »Aber ich kann doch nicht schlafen«, erwiderte ich verzweifelt.
    »Schluss jetzt. Du gehst!« Die Stimme meiner Mutter klang hysterisch. Verstört fragte ich mich: Warum sagen die mir nicht, was die da machen? Ich war stinksauer, verkroch mich unter meiner Decke und lauschte dem wilden Treiben noch eine ganze Weile. Ich hielt mir die Ohren zu, aber durch die dünnen Wände blieb mir nicht viel erspart. Erst eine halbe Stunde später, nachdem beide einmal laut aufgeschrien hatten, war es dann endlich ruhig.

2. Schwer erziehbar
Schultütentherapie
    Das Gefühlschaos zu Hause wurde immer belastender. Meine Mutter war nur noch am Meckern – und meinen neuen Vater konnte ich als solchen einfach nicht akzeptieren. Erich war ein netter Typ, ich hätte mich gern mit ihm angefreundet, aber genau das konnte ich mir nicht erlauben, weil ich mich damit meinem wirklichen Vater gegenüber als Verräter gefühlt hätte. Ich war todunglücklich. Und mit dem Gedanken, dass ich jetzt auch noch in die Schule gehen sollte, konnte ich mich erst recht nicht anfreunden. Der erste Schultag rückte mit großen Schritten näher, und als es schließlich so weit war und ich an meinem Schreibtisch in der Mercator-Grundschule Platz nehmen musste, fühlte ich mich sofort total unwohl. Die ganzen anderen Kinder waren von ihren Müttern und Vätern gebracht worden und schienen es tatsächlich kaum erwarten zu können, dass der Unterricht begann. Ich
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