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Im Bus ganz hinten

Im Bus ganz hinten

Titel: Im Bus ganz hinten
Autoren: Fler
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auf und lief ins Wohnzimmer und sah, wie meine Mutter sich in ihrem weißen Nachthemd durch das Loch in der Scheibe lehnte.
    »Geh endlich weg! Lass uns einfach in Ruhe!.
    »Nein, ich will zurück. Wir sind eine Familie.«
    »Vergiss es. Es ist zu viel passiert. Verpiss dich.« Dann drehte sie sich zu mir um.
    »Und du pass auf wegen der ganzen Splitter«, befahl sie in strengem Ton. Sie nahm mich an der Hand und brachte mich in mein Zimmer zurück. Mein Vater verschwand unterdessen draußen wieder in der Nacht.
    Trotz solcher Aktionen erlaubte meine Mutter es meinem Vater, mich regelmäßig zu sehen.
    »Ich will dir nicht deinen Sohn wegnehmen«, versprach sie ihm am Telefon. Ich vermisste ihn sehr und war erleichtert, dass er mich einmal pro Woche von zu Hause abholen durfte. Egal, was er angestellt hatte, er war mein Vater, und ich konnte mir keinen anderen vorstellen. Zugegebenermaßen waren unsere Treffen alles andere als kinderfreundlich. Mein Vater nahm mich mit in seine abgefuckte Lieblingskneipe mitten in der Siedlung. Es stank nach Qualm und Bier, am Tresen saßen immer die gleichen arbeitslosen Alkoholiker, und alle waren mindestens 30 Jahre älter als ich.
    »Was machen wir hier?«, fragte ich.
    »Patrick, setz dich dahin«, sagte er und hob mich hoch auf einen hölzernen Hocker am Flipper-Automaten. Er warf 50 Pfennig in den Schlitz, und ich drückte auf den leuchtenden Knöpfen rum. Während ich da rumzockte, ging er an die Bar zu seiner Alki-Gang und bestellte sich ein Bierchen. Und aus einem wurden dann zehn. Das Geld für den Automaten war nach ein paar Minuten verbraucht, also saß ich tatenlos rum und sah zu, wie er immer besoffener wurde und irgendwelchen Schwachsinn erzählte.
    »Ich will nach Hause«, stöhnte ich nach drei Stunden, aber mein Vater hatte noch immer Durst. Ich lief von links nach rechts, zupfte ihn am Bein, fragte immer wieder, wann wir gehen könnten, und irgendwann gab er schließlich nach. Wankend brachte er mich nach Hause. Dabei erzählte er mir immer wieder, wie gemein meine Mutter doch sei und wie gern er wieder mit uns zusammenwohnen würde. Und so unangenehm mir der Nachmittag in der Kneipe gewesen war, ich konnte meinen Vater auch verstehen – er war ziemlich einsam.
    Wenn wir nicht in der vergammelten Pinte hockten, saßen wir zusammen in seiner neuen Einzimmerwohnung vor dem Fernseher.
    Kindersendungen gab’s da keine. Wir guckten sein Lieblingsprogramm: Action-Thriller und alte Westernfilme.
    »Hast du keine Bugs-Bunny- Videos da?«, fragte ich.
    »Nö«, sagte er achselzuckend und starrte weiter in den Flimmerkasten. Egal, dachte ich mir. Ich fand’s irgendwie auch cool, von seiner Couch auf den riesigen Fernseher zu glotzen. Ich fühlte mich mit vier Jahren schon richtig erwachsen. Meine Mutter war nicht ganz so begeistert – als sie mitbekam, was er da für ein Zeug mit mir unternahm, war endgültig Schluss. Sie beschwerte sich beim Jugendamt, und ein paar Tage später war er sein Sorgerecht los. Meine Mutter verkündete mir, dass er jetzt ganz aus meinem Leben verschwinden würde. Die Worte trafen mich hart. Ganz verlieren wollte ich ihn unter keinen Umständen.
    »Werde ich Papa wiedersehen?«, fragte ich mit Tränen in den Augen. Meine Mutter antwortete nicht, sie konnte mich nicht einmal ansehen. Und mir wurde klar: Sie wollte diesen Mann für immer aus ihrem Leben streichen. Jetzt saß ich da – ohne einen Vater. Nicht einmal eine Verabschiedung war noch drin gewesen. Der Kontakt war von heute auf morgen abgerissen. Es war, als würde es meinen Vater nicht mehr geben – als wäre er tot.
    Erst zwanzig Jahre später sollte ich ihn wiedertreffen.
Der Sandkastenterrorist
    Satansbraten, Rotzlöffel, Horrorgöre, Drecksbalg! Das waren so die Freundlichkeiten, die mir von nun an täglich an den Kopf geworfen wurden. Ich hatte mich nicht unbedingt zu meinen Gunsten entwickelt: Süß war einmal, jetzt war ich ein schlimmer Junge. Im Kindergarten kam ich wirklich mit niemandem klar. Ich blockte total ab, hatte keine Lust auf die Erzieher und schon gar nicht auf die anderen Kinder. Meine ehemals so strahlend blauen Augen waren plötzlich traurig. Ich zog ganz allein mein Ding durch, malte ein paar Bilder oder spielte im Sandkasten. Wenn mich jemand nervte, drehte ich durch: Ich prügelte mich mit den Jungs, jagte sie mit meiner kleinen gelben Plastikschaufel beim Spielen quer durch den Garten, und ich liebte es, den Mädchen ein Bein zu stellen. Meine Mutter
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