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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Wood
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Shalaaman besaß dennoch die Kraft, Ruhe und Ordnung zu gebieten. Zu Leah sagte er: »Ich werde die Ägypter im Audienzsaal empfangen. Der Feind soll mich nicht in diesem Zustand sehen. Hilf uns, Leah.«
     
    Im Audienzsaal machten immer mehr Gerüchte die Runde. Avigail wusste schon gar nicht mehr, was sie glauben sollte – ob sich der König erholt hatte, ob er tot war, ob er in eine Provinz im Osten geflohen war. Wachen hielten die Menge in Schach, aber die Spannung war schier zum Zerreißen, als der Mittag kam und verstrich und der König sich noch immer nicht gezeigt hatte. Avigail überlegte bereits, ob sie nach Hause gehen sollte, als Trompeten erschallten. Alle Köpfe wandten sich den schweren purpurnen Vorhängen rechts vom Thron zu, durch die Ugarits Könige seit jeher Einzug zu halten pflegten.
    Stille breitete sich aus. Zira und Avigail starrten mit angehaltenem Atem auf die Stoffbahnen, durch die jetzt Richter Uriah mit seiner imposanten Kopfbedeckung in Gold und Silber trat. Ihm folgten zwei königliche Wachen mit vergoldeten Schilden, dann die Höflinge und schließlich Shalaaman selbst. Die Zuschauer brachen in Jubel aus, als sie ihres Monarchen ansichtig wurden, der, auch wenn er unsicher auf den Beinen zu sein schien und sehr blass war, in seinen mit Gold eingefassten purpurnen Gewändern und der edelsteinbesetzten Krone Ugarits Ehrfurcht erweckte. Würdevoll und konzentriert schritt er auf seinen Thron zu, und als er innehielt und sich umwandte, sah man ihm nach, dass er leicht schwankte.
    Dann erblickten sie die junge Frau an seiner Seite, die viele als seine Dämonenbetörerin kannten, und neben ihr das einigen vertraute Gesicht von David, dem Schriftgelehrten aus Lagasch. Ihnen folgte Yehuda, der Rab der Bruderschaft. Sie nahmen um den Thron herum Aufstellung; Shalaaman selbst ließ sich langsam auf dem ausladenden Sessel nieder, von dem aus Generationen von Monarchen Ugarit regiert hatten. Er hob die Hand, auf dass die Götter diese Versammlung segneten, aber noch ehe er etwas sagen konnte, öffneten sich die beiden hohen Türflügel des Audienzsaals, und ein beeindruckender Mann trat ein.
    »Halla!«,
flüsterte Avigail und malte das heilige Zeichen Asherahs in die Luft, als sie den Mann als Ägypter, noch dazu als einen von hohem Rang, ausmachte. Gleich darauf tuschelten die Zuschauer einander zu, dass dieser Mann, der jetzt langsam und würdig über den Marmorfußboden zum Thron schritt, Admiral Hayna war, der Befehlshaber der dem Vernehmen nach größten Flotte der Welt.
    War er gekommen, um Ugarit für Pharao Thutmosis zu erobern – oder es zu zerstören?
    In seinem Gefolge befand sich Jotham der Schiffbauer, der so gesetzt einherschritt, wie ihm dies seine Körperfülle erlaubte, und ihnen folgten Männer in Leinenröcken und weißen Turbanen, zweifellos Adjutanten des Admirals. Für Ugarit, wo die Temperaturen um einiges niedriger waren als im Land des Nils, schienen sie unzureichend gekleidet zu sein; ihre lederfarben gegerbte Haut verriet, dass sie vornehmlich zur See fuhren.
    Im Saal war es so still, dass man das leise Aufsetzen der ägyptischen Sandalen auf dem Boden vernahm. Die Aufmerksamkeit aller war dem Besucher zugewandt, der auch ohne farbenprächtiges offizielles Gewand Ehrfurcht erregte – Ägyptens Macht erfüllte den Saal. Vor dem Thron blieb er stehen, verharrte dort eine Weile, wortlos und ohne sich zu bewegen, um sich dann formvollendet und anmutig zu verbeugen – eindeutig nicht unterwürfig, wie man feststellte, aber immerhin respektvoll – und auszurufen: »Die Götter Ägyptens entbieten den Göttern Kanaans ihren Segen! Der lebendige Gott Ägyptens, Pharao Thutmosis, entbietet seine Grüße dem König von Ugarit, König Shalaaman, dessen Name ›Frieden‹ bedeutet.«
    Die Zuschauer meinten ihren Ohren nicht zu trauen. Admiral Hayna sprach Kanaanäisch! Und er hatte sich mit Worten der Freundschaft an Shalaaman gewandt. Außerdem trug er, wie man erst jetzt bemerkte, keinerlei Waffen. Eigentlich sah er gar nicht so aus, als sei er gekommen, um die Stadt zu erobern.
    Gespannt wartete man auf Shalaamans Erwiderung. Das Schweigen zog sich hin, derweil eine warme Nachmittagsbrise in den prachtvoll ausgestatteten Saal wehte und die Fächer aus Straußenfedern bewegte, die Säume von Gewändern und Umhängen anhob. Zira und Avigail, die ziemlich weit vorne standen, waren fasziniert, vergaßen vorübergehend sogar ihren persönlichen Zwist angesichts dieser
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