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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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ich die Antidepressiva abgesetzt habe, was eine ziemlich harte Angelegenheit war, weil ich ja doch fast ein Jahr lang immer wieder etwas genommen hatte. Aber ich hab mich halt auch immer wieder gefragt, wer ich denn bin, wenn ich so etwas nehme, ob ich mich dadurch nicht zu sehr verändere. Das war ja bei mir auch der Grund, keine Drogen zu nehmen. Weil ich immer befürchtet habe, dass ich dann nicht mehr Herr meines Willens bin. Mit 21 hab ich mal Kokain genommen, ich wollte Drehbücher schreiben wie Fassbinder, möglichst schnell, drei Stück in einer Nacht. Doch ich hatte die ganze Nacht über Erstickungsanfälle, weil das Zeugs wohl gestreckt war, sodass ich gar nicht zum Schreiben gekommen bin. Am nächsten Morgen standen zwei Wörter auf dem Zettel: »Ich« und »fertig«. Einmal hab ich’s noch probiert, stand wieder nichts auf dem Papier – da hab ich’s gelassen.
    Aber diesmal ist der Kampf um den Willen eigentlich schon eine verlorene Schlacht für mich. Das heißt: Der Wille ist von mir nicht zu besiegen. Der scheint wie eine Nachricht in mir zu schlummern, er weiß, dass es irgendwann zu Ende ist, und er weiß wahrscheinlich auch schon, wann. Alles, was ich dagegen unternehme, ist ein Aufbäumen gegen eine Staatsmacht, die sowieso nicht zuhört.
    Morgen steht auf jeden Fall ein großer Tag bevor. Gleich um drei kommen die Verwandten am Bahnhof an, dann fahren wir los, und morgen, am 1. August, heiraten Aino und ich. Das Wetter ist wunderschön und soll auch so bleiben, eigentlich müsste ich mich nur freuen. Aber so ist es eben leider nicht.
    Gestern ist auch noch Peter Zadek gestorben. Ich weiß nicht, ob es daran lag, jedenfalls bin ich schon gegen neun ins Bett gegangen. Mit einem total schlechten Gewissen, weil ich überhaupt nicht mithelfen konnte bei Ainos Organisation. Ich lag nur im Bett, habe geschlafen wie ein Toter und geträumt, dass Ainos Ehering von einem Juwelier so schmal gearbeitet worden war, dass sie ihn kaum tragen konnte. Peter Zadeks Tod lässt mich nicht los, weil ich zu ihm eine ganz besondere innere Beziehung habe. Dabei haben wir uns gar nicht oft gesehen, wir haben uns öfter mal angerufen, einmal war ich auch bei ihm und Elisabeth in der Toskana, mehr war eigentlich nicht. Ich weiß auch nicht, er ist einfach ein besonderer Mensch für mich. Und jetzt ist dieser besondere Mensch tot.
    So, da bin ich wieder, es ist der 3. September und mir geht es nicht gut. Als hätte ich es vor der Hochzeit geahnt, dass ich dieses Gerät irgendwann wieder brauchen werde. Und natürlich sind diesmal Hintergedanken dabei. Denn man kann so einen ersten Bericht nicht so stehen lassen, das geht nicht. Das erste Buch kommt mir inzwischen wie eine zwar völlig ehrliche, aber auch wie eine sich selbst blendende Aufzeichnung vor. Bei aller Liebe, bei allem Wohlwollen, bei aller Zuneigung zum Leben, zum Lebenwollen, zu seiner Geliebten, zur Natur, zu allen Menschen bastelt man sich aufgrund der Ereignisse, die da über einen herfallen, halt die entsprechenden Bilder. Und mir kommt es so vor, als würden diese Bilder mich überwältigen wollen, als wäre man abhängig. Ich zumindest, nicht man: Ich bin abhängig von Bildern. Ich brauche immer Bilder, Bilder, Bilder. Und ich weiß im Moment wirklich nicht, wo die Essenz sein soll.
    Ich habe also den Hintergedanken, dass es ein zweites Buch gibt. Weil ich glaube, dass es kein gutes Ende nimmt. Und wenn, dann kann ich mich nicht damit begnügen, eine kleine Fahrstrecke beschrieben zu haben, sondern dann, finde ich, ist es auch richtig zu sagen: Ich bin irgendwann im Eis stecken geblieben, ich bin nicht zum Nordpol gekommen, ich habe nicht den Mond erreicht, ich habe meine politischen Ansichten nicht durchsetzen können, ich habe auch keine Massenbewegung erzeugt, ich habe keine Kunst kreiert, die sich durchsetzen wird. All diese Sachen, all diese Wünsche und Sehnsüchte, die man hatte und die man nicht erfüllen konnte, der Selbstbetrug, das Scheitern – das ist doch wichtig, dass man das bekannt gibt, für sich selbst und vielleicht auch mal zum Nachlesen. Mein Gott, was soll daran falsch sein? Im Moment lese ich fast jede Woche einen Artikel, dass es jetzt reichen würde mit der Krebsliteratur: »Lasst uns in Ruhe mit euren Krebsberichten« oder wörtlich: »Wer hat geil Krebs?«. Ich versteh das nicht. Ich verstehe nicht, wie so etwas möglich sein kann in Deutschland. Im Kern habe ich mich in diesem Land nicht wohlgefühlt. Ich finde, dieses
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