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Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich

Titel: Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
Autoren: Stella Bettermann
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Mama ziemlich eingedeutscht. Zum Essen machte sie Schnitzel, Wiener Würstchen und Rindsrouladen. Nie sprach sie in ihrer Muttersprache mit uns, sie las keine griechischenZeitungen und hörte keine griechische Musik; im Winter bastelte sie deutsche Adventskränze, füllte Adventskalender und backte Plätzchen und Stollen. Nur wenn wir das Osterfest mit der griechischen Gemeinde in einem Lokal feierten und Sirtaki oder Kalamatianos getanzt wurde, verwandelte sie sich in das, was mein Bruder und ich unter uns »die griechische Mama« nannten. Erst tanzte sie immer ein wenig unsicher, dann mit zunehmendem Schwung. Schließlich wirbelte sie mit geröteten Wangen durch den Raum, sprach mit mädchenhaft hoher Stimme, lachte und flirtete. Verschwunden war ihre raue Altstimme, mit der sie ihr behäbiges Deutsch sprach. Sogar ihr Lachen klang, befreit vom Korsett der für sie sperrigen deutschen Sprache, heller und jünger.
    Diese beeindruckenden Verwandlungen fanden allerdings nur selten statt. Darum vergaßen mein Bruder und ich auch die meiste Zeit, dass griechisches Blut in unseren Adern floss. Wir sahen außerdem gar nicht griechisch aus, wir hatten hellbraune Haare und auch sonst viel von unserem deutschen Papa mitbekommen. So kam es häufig vor, dass unsere Spielgefährten verblüfft reagierten, wenn eine schwarzhaarige Frau auf Stöckelschuhen mit Einkaufstüten vom Supermarkt an unserem Spielplatz vorbeikam und rief: »In einer Stunde gibt es Abenääähsen! Und ihr chabt den Außaufgaben noch nicht gemacht!« »Wer ist das denn?«, fragten uns die anderen Kinder entsetzt, die sich beim besten Willen nicht vorstellen konnten, was wir mit dieser Frau zu tun haben konnten. »Und warum spricht sie so komisch?« Wenn wir das Ganze aufgeklärt und zugegeben hatten, dass es sich bei jener Frau um unsere Mutter handelte, wandelte sich die Verblüffung der Kinder schnell in unverhohlene Neugier, und sie baten uns, ihnen griechische Schimpfwörter beizubringen. Vlakas , sagte ich, Idiot, und skata , Scheiße, mehr fiel mir nicht ein. Bei uns zu Hause wurde kein Griechisch gesprochen, und bei Pappous wurde nie geflucht.Mein Bruder wusste immerhin malakas , Wichser. Das hatte er von den Jungs, die auf der Straße vor dem Haus der Großeltern immer Fußball spielten. Er hatte bloß keine Ahnung, was es bedeutete.
    Dafür hatte Yiayia in München ein paar Brocken Deutsch gelernt, die sie bei unseren Besuchen in Piräus stets gut gelaunt zum Besten gab: »Ich möchte biete sswei Lita Milch«, oder: »Iss daas die Linie sechsundfunfsig?« Wir mussten immer sehr lachen. Hier in der Monemwassias, wo Tag und Nacht Mopedhupen von der nahen Hauptstraße her erklangen und der Melonenhändler seine Ware mit ohrenbetäubendem Lautsprecherlärm vom Lastwagen aus anpries, hier, wo unablässig der Ventilator surrte und trotzdem Schweiß auf unseren Oberlippen lag, wo aus den Kleiderschränken der Geruch von Mottenkugeln drang und die Küchenschränke nach Anis und Zimt dufteten, wo alle lebhafter sprachen, lauter lachten und uns Kinder feuchter küssten als zu Hause – in dieser griechischen Parallelwelt klangen Yiayias holprige deutsche Sätze wie absurde Insiderwitze.
    Wie sehr sich Griechenland von unserem Zuhause unterschied, welch riesige Distanz zwischen diesen beiden Welten lag, wurde uns auch durch die dreitägige Autofahrt bewusst, die meine Eltern Sommer für Sommer auf sich nahmen, um von München nach Piräus zu gelangen – und zwar aus purer Abenteuerlust. Sie hätten natürlich auch einfach Flüge buchen können, Papa verdiente als Ingenieur nicht schlecht. Es machte ihnen aber mehr Spaß, im Wagen durch halb Europa zu gondeln.
    Papa war in Ansbach aufgewachsen und hatte dort unter der kleinstädtischen Bürgerlichkeit gelitten. Mama war zwar ein Großstadtkind aus Athen, aber der strenge Pappous hatte ihr kaum Freiheiten gelassen – eigentlich war es ein Wunder, dass er ihr erlaubt hatte, im Ausland zu studieren. Kennen gelernthatten sich die beiden in München während eines Studentenjobs bei der Lottogesellschaft, und als Mama bald darauf zu ihren Eltern reisen musste, hatte Papa versucht, sich bis zu ihr nach Athen durchzuschlagen – auf seiner hellblau lackierten Vespa, die alt und verrostet war. Er kam nur bis Kroatien, dann gab das Moped für immer seinen Geist auf, das war vorauszusehen gewesen. Aber immerhin habe er es versucht, meinte Papa. Für ihn und Mama waren die abenteuerlichen Autoreisen nach Athen und
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