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Ich sehe dich

Titel: Ich sehe dich
Autoren: Janet Clark
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ging davon.
    Glücklich verheiratet, äffte sie sich im Stillen nach und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.

Dienstag, 9. Dezember
     

10
    Die Haustür stand offen. Trotz der eisigen Temperaturen, trotz des Hinweisschildes Türe bitte immer schließen . Sara klingelte mehrmals. Dann trat sie entschlossen in den Eingangsbereich mit dem blauen Mosaikboden und lief an Briefkästen und Lift vorbei zur Treppe. Die Absätze ihrer Stiefel klapperten auf den Steinstufen. Vielleicht schlief Tini noch und hatte deshalb nicht auf das Klingeln reagiert. Wie lange sie gestern wohl noch auf der Polizeistation gewesen war? Sicher war sie völlig fertig.
    Vor der Wohnungstür hielt sie inne. Sie war versiegelt. Der Anblick versetzte ihr einen Schlag in den Magen. Es war wirklich so – Paul war tot. Mit Siegel. Amtlich.
    Wenn Tini nicht hier war, wo war sie dann? Unschlüssig lehnte Sara sich an die Tür.
    »Frau Neuberg? Sind Sie Frau Neuberg, Christinas Schwester?«
    Ein Mann kam auf sie zu. Groß, mit dunkelblonden Haaren und einem freundlichen Lächeln, das ihn auf Anhieb sympathisch machte. Er trug Jeans und eine Lederjacke, darunter einen schwarzen Rollkragenpullover mit auffälligem Reißverschluss am Hals. Er musste gerade mit Tinis Nachbarin geredet haben. Die alte Frau stand vor ihrer Tür, die geblümte Schürze straff über den Bauch gebunden, und blickte ihm skeptisch nach. Ob er ein Zivilpolizist war?
    »Frau Neuberg?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Er zog ein Foto aus seiner Innentasche und hielt es Sara hin.
    Sie betrachtete es. Paul, Tini und sie selbst, jeder eine Radlermaß in der Hand, im Hintergrund das Klettergerüst eines Spielplatzes. Ihr letzter gemeinsamer Biergartenbesuch. Sie schluckte. Der Mann streckte ihr seine Hand hin.
    »Michael Seitz. Christinas Anwalt.« Sein Händedruck fühlte sich gut an.
    »Wo ist Tini? Haben Sie mit ihr gesprochen? Wie geht es ihr?«
    »Sie ist … noch verhindert«, sagte er leise und beugte sich dabei noch etwas vor. Sie nahm den Geruch seines Eau de Toilette wahr. Moosiger Fels im klaren Bergbach, sie erkannte es sofort, so hatte sie ihren Favoriten bei der Dufttestreihe für Nova beschrieben.
    »Verhindert?«
    Seitz schwieg.
    »Sie hat ihn so geliebt.« Sara schüttelte den Kopf, als könne sie noch immer nicht glauben, dass Tini Witwe war. Witwe? Wie das klang, Witwe. Tini war siebenundzwanzig. »War es ein Unfall, also ich meine, hat Paul aus Versehen zu viel getrunken? Er ist doch an einer Alkoholvergiftung gestorben? Oder …« Sie senkte ihre Stimme. »Selbstmord?«
    Er drehte sich um, zur Nachbarin, die immer noch in der Tür stand.
    »Ich bringe Sie nach Hause, Frau Neuberg.« Noch während er sprach, umfasste er ihren Oberarm und zog sie sanft zum Aufzug.
    »Warum ist die Wohnung versiegelt?«
    »Die Spurensicherung wird noch nicht fertig sein.«
    »Spurensicherung?« Sie musste zu laut gesprochen haben, denn er legte seinen Finger an den Mund und machte eine Kopfbewegung in Richtung der Nachbarwohnung.
    »Spurensicherung?«, flüsterte sie. »Dann denkt die Polizei tatsächlich, es ist Mord? Oder?«
    Er nickte.
    »Das ist doch nicht …? Glauben Sie das auch? Ein Unfall … Es muss ein Unfall gewesen sein!«
    »Das ist unwahrscheinlich. Oder eher: ausgeschlossen.«
    Endlich kam der Aufzug. Mit einem blechernen Knarren öffnete sich die Tür. »Die braucht Öl.« Er drückte auf E.
    »Und Selbstmord?« Sie hörte, wie ihre Stimme quiekte.
    »Kein Abschiedsbrief. Auch wie er gestorben ist, spricht dagegen.«
    Der Lift hatte sein Ziel erreicht.
    »Jetzt sagen Sie nicht … Tini hat damit nichts zu tun, das wissen Sie doch, oder?« Der Gedanke, er könnte ihre Schwester für eine Mörderin halten, traf sie so plötzlich, dass sie Seitz am Ärmel packte und ihn zwang, sie anzusehen. Sie schluckte den Kloß, der sich in ihrer Kehle festsetzen wollte, hinunter. »Tini hat damit nichts zu tun!«
    »Der Staatsanwalt sieht das anders.«
    »Und Sie, was denken Sie?«
    »Ich halte das für Unsinn«, antwortete er. Sein Blick war weich.
    Gemeinsam traten sie auf die Straße. Sofort kroch die Kälte unter ihren Lammfellmantel.Sie fröstelte und wickelte den Wollschal noch einmal um ihren Hals, bis nur noch Nase und Augen zwischen Schal und Mütze zu sehen waren.
    »Sind Sie öffentlich oder mit dem Auto da?«, fragte Seitz und zog einen Autoschlüssel aus seiner Lederjacke.
    »U-Bahn. Ich wohne gleich an der Haltestelle Rotkreuzplatz.«
    »Darf ich Sie
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