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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können
Autoren: Tessa Korber
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bewältigen. Ich wies das damals weit von mir. Meine Eltern waren immer schon der Ansicht gewesen, ich sei nicht wirklich alltags- oder lebenstauglich, ein Bücherwurm eben ohne praktische Begabung und wahnsinnig empfindlich, wenn auch sehr klug. Die halbe Wahrheit war das ja, aber eben nur die halbe, fand ich. Immerhin hatte ich bis dahin alles geschafft, was ich mir vorgenommen hatte: Doktortitel, Familie, Beruf, erster Roman. Ich war summa cum laude promoviert worden, ohne abgeschrieben zu haben, war zwei Jahre lang Alleinverdienerin als Texterin gewesen und hatte dabei die Anzahlung für das Haus zusammengekriegt. Mein erster Sohn war mehr als geraten und das dritte Buch in Arbeit.
    Dass ich in dieser Phase mehrfach am Rand des Nervenzusammenbruchs gestanden hatte, verdrängte ich. Ebenso die Magengeschwüre, die Hörstürze, die schwere Lungenentzündung, die seltsamen Schwindelzustände, deren Ursache nie geklärt wurde. Die hysterischen Tränen, in die ich am Tag meiner mündlichen Prüfung noch im Flur der Uni ausgebrochen war, und die stundenlang nicht versiegen wollten. Mein Professor war regelrecht beleidigt gewesen: »Sie sind die Erste, die hier mit einem Summa rausgeht und heult.« Aber ich konnte mich nicht freuen, ich verlor nur die Fassung. Noch Wochen später lief ich mit einem unwirklichen Gefühl herum, wie ein Zombie, mit zitternden Händen und völlig konzentrationsunfähig. Ich erinnere mich noch gut, wie ich verzweifelt versuchte, die Rückenlehne des Vordersitzes umzuklappen, um das Kind hinten ins Auto zu bugsieren. Es war ein Viertürer. Oder wie ich heulend am Küchentisch saß, weil ich auf dem Weg zwischen Arbeitsplatte und Herd vergessen hatte, neben dem Messer auch den Kochlöffel aus der Schublade zu nehmen, den ich brauchte, und nun noch mal zwei Schritte extra gehen musste. Das war suboptimal, eine lächerliche Kleinigkeit, aber die allein brachte mich zur Verzweiflung.
    Die hochbeschleunigte, durchrationalisierte und fein austarierte Choreographie meines Lebens war kurz davor gewesen, aus den Fugen zu geraten. Und obwohl der Druck von außen inzwischen weitgehend weggefallen war, surrten in mir die Rädchen weiter, und ich kam nicht zur Ruhe. Das Jahr der Trennung von meinem Mann hatte es auch nicht besser gemacht. Im Gegenteil. Ich war ein Mensch voller Ängste geworden, die sich in dem leeren Haus frei austoben konnten. Stundenlang hockte ich vor haarigen Kellerspinnen, die drauf und dran waren, in die höheren Stockwerke vorzudringen, unfähig, sie anzufassen oder auch nur ein Glas über sie zu stülpen. Es kostete mich unendliche Überwindung, schließlich irgendetwas nach ihnen zu werfen.
    Abends, wenn mein großer Sohn schlief und nicht sehen konnte, was ich tat, und ich mich also nicht schämen musste, ging ich durch das ganze Haus. Ich begann im Keller, durchsuchte jeden Raum, auch die Schränke, selbst die Hohlräume hinter den Heizöltanks, mit einem Messer in der Hand, und schloss, wenn ich fertig war, jede Tür hinter mir, damit ich merkte, wenn jemand sich im Haus bewegte. Mein Schlafzimmer kam als Letztes dran. Dort sah ich hinter der Tür, unterm Bett, im Schrank und in größeren Schubladen nach, bevor ich mich ins Bett legte. Mit dem Messer unter dem Kissen. Ich las bis zwei, drei Uhr morgens, bis mir die Erschöpfung die Lider herunterzog und ich mir sagte: In den paar Stunden bis zum Morgen wird schon nichts mehr passieren. Wenn der Bewegungsmelder draußen das Licht angehen ließ, lag ich regungslos da und starrte den gelblich blassen Kegel an, der durch das Fenster hereinfiel. Ich hatte Alpträume. Ich lebte mit angehaltenem Atem. Ich war sicherlich nicht gesund.
    Einmal sprach ich meinen Hausarzt darauf an, der meinte, eine Therapie könne mir nur ein Psychiater verschreiben. Das Wort klang schrecklich in meinen Ohren, also ging ich nicht hin. So krank fühlte ich mich nicht, dass ich die Schwelle zum Reich des Anormalen hätte überschreiten mögen. Lieber riss ich mich zusammen, das hatte die letzten Jahre schließlich auch funktioniert.
    Manchmal denke ich, dass meine Angst der körperliche Stoff war, aus dem Simon gemacht wurde, denn am Ende dieser Zeit war ich schwanger. Habe also doch ich ihn produziert? Haben der ständige Stress, unter dem ich stand, die Angst, die mich beherrschte und fühlbar in meinem Körper herumschwappte, der
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