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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können
Autoren: Tessa Korber
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zusammenbrach: wie erleichternd.
    Danach war ich, mit den Worten meines älteren Sohnes, alleine Simons »Zentrum«, und die Geschichte wurde wirklich seine und meine. Sein Vater wandelte sich zum Babysitter, als solcher engagiert und verlässlich, und vermutlich auch erleichtert über die gewandelte Last. Simon durfte Simon sein, ich schleppte mich nicht mehr mit der Angst ab, ihn jemandem erklären, annehmbar und liebbar machen zu müssen.
    Ich war endlich wieder, so gut ich konnte, mit Übergewicht, Selbstzweifeln, Depressionen und doch einem neuen Lebenshunger: ich.
    Es gab tatsächlich mal eine Zeit, als ich von Autismus und all dem noch nichts wusste. Wir führten ein ganz normales Kleinfamilienleben mit Vater, Mutter, zwei Kindern, zwei Katzen, diversen Meerschweinchen und Hasen. An diese Zeit kann ich mich zwar erinnern, nachempfinden kann ich sie allerdings nicht mehr. Es existieren nur noch die Fotos und ein paar vage Anekdoten, abgegriffen vom häufigen Erzählen.
    In diesen drei Jahren nach Simons Geburt hatten wir zum ersten Mal so etwas wie eine normale bürgerliche Existenz, denn die mit Studienstress vollgestopften ersten Jahre unserer Studentenehe, in der ein Kind mit zwei Doktorarbeitsprojekten koordiniert werden musste, kann man nicht unbedingt als normal bezeichnen. Wir arbeiteten damals im Schichtbetrieb, einer in der Bibliothek, einer zu Hause bei Jonathan, aßen mit dem Kind in der Mensa, wechselten dann den Platz, tippten bis spät in die Nacht und starrten auf die tickende Zwei-Jahres-Uhr unserer Stipendien. Daneben und danach, denn das Ganze wollte ja auch im dritten Jahr finanziert sein, gab es, was mich betraf, Praktika und kleine Jobs in einer Werbeagentur. Ich erinnere mich gut an eine Nacht, in der ich meinen vom Reizhusten gebeutelten Säugling aufrecht herumtragen musste, damit er Luft bekam. Ich hielt ihn mit der Rechten an meine Schulter gedrückt und tippte mit der Linken Werbetexte für Kugelschreiber, die ich am nächsten Tag abgeben musste. Jonathan keuchte, die Mentholdämpfe quollen, es war 0.45 Uhr und ich textete: »Der Elegante unter den Bunten hat das Zeug zum Lieblingsstift Ihrer Kunden.« Oder etwas Ähnliches.
    Irgendwie überstanden wir diese Zeit, unser Leben wurde etwas ruhiger. Ich weiß nicht mehr, ob es mir gefiel. Bei meiner zweiten Schwangerschaft war vieles anders, das meiste davon überaus positiv. Sicher, ich war sechs Jahre älter als beim ersten Mal, Jonathan hatte ich mit achtundzwanzig bekommen, jetzt war ich vierunddreißig, und das spürte ich deutlich. Ich war förmlich schlafkrank, mir fielen nachmittags mit solcher Macht die Augen zu, dass ich mich kaum dagegen wehren konnte. Ich lallte, es ging einfach nicht weiter. Dabei wollte doch ein Kind betreut sein, ein Haushalt gemacht, ein Roman geschrieben. Alles an mir war schwer.
    Andererseits hatte ich diesmal nicht nebenbei eine Dissertation fertigzustellen, mit dem ewigen Zeitdruck und der Geldnot im Hintergrund. Das war schon einmal enorm erleichternd. Und ich brach mit der Schwangerschaft nicht aus einem völlig anderen, dem studentischen Milieu aus und hatte nicht gegen negative Erwartungen meiner Umwelt zu kämpfen wie beim ersten Mal, wo meine Freunde – ausgesprochen – erwarteten, ich würde jetzt verspießern, und meine Professoren – unausgesprochen – darauf lauerten, dass ich versagen würde.
    Nein, diesmal passte alles: Ich wohnte in einem richtigen Haus, hatte einen Ehemann in Lohn und Brot, der, nach einem harten Jahr des Getrenntlebens aus beruflichen Gründen, endlich wieder mit mir unter einem Dach wohnte, dazu ein sechsjähriges Kind, das gerne entzückende philosophische Überlegungen anstellte wie: »Ich glaube, ich bin zum Denken auf der Welt.« Und ich trug ein absolutes Wunschkind in mir.
    Nicht dass Jonathan nicht auch hocherwünscht gewesen wäre, das nicht, Jonathan, falls du das liest, ehrlich. Du warst sehr willkommen, sogar ein wenig riskiert worden, nur warst du nicht geplant gewesen. Zum festen Vorsatz hatte uns als Studenten noch der Mut gefehlt. Simon hingegen kam nach Plan. Er sollte unser Leben komplett machen.
    Meine Eltern meldeten als Einzige Bedenken an, etwa dahin gehend, wir würden uns mit noch einem Kind emotional übernehmen. Wir seien doch beide keine so belastbaren, stressresistenten Menschen, und gerade liefe endlich mal alles rund und sei zu
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