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Ich koch dich tot: (K)ein Liebes-Roman

Ich koch dich tot: (K)ein Liebes-Roman

Titel: Ich koch dich tot: (K)ein Liebes-Roman
Autoren: Ellen Berg
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schööön langsam.«
    Vivi gab Gas. Heute saß Werner nicht auf dem Beifahrersitz. Er würde nie wieder dort sitzen, und diese Erkenntnis überwältigte sie wie ein Sechser im Lotto. Vielleicht war dieser tragische Unfall ja ein Wink des Schicksals. Vielleicht hatte eine gute Fee beschlossen, dass sie nicht bis ans Ende ihrer Tage verkümmern sollte wie eine Topfpflanze, die man vergessen hatte zu gießen. Wenn alles gutging, wartete die absolute Freiheit auf sie. Es fühlte sich himmlisch an.
    »Über den Wolken«, fing sie an zu singen, »muss die Freiheit wohl grenzenlos sein!«
    Singen im Auto war bei Werner streng verboten gewesen, doch Vivi liebte es. Überhaupt sang sie gern, nein, sie war besessen davon. Sie besaß eine umfangreiche Sammlung von CDs mit Schlagern, Songs und Chansons für alle Lebenslagen, für Trauer, Freude, Langeweile. Sogar für diesen sehr speziellen Anlass. Und sie konnte die meisten Texte auswendig.
    »Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen, und dann …« Sie klopfte den Rhythmus auf dem Lenkradmit und ließ alle Scheiben herunter. Ihr Haar flatterte im warmen Fahrtwind des Sommerabends. »… würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und –«
    Nur eine Vollbremsung bewahrte sie davor, einen älteren Herrn umzunieten, der seelenruhig mit seinem Rollator über die Kreuzung zuckelte. Die Fußgängerampel zeigte Rot, was diesen Mann allerdings überhaupt nicht störte.
    Erschrocken schlug sich Vivi an die Stirn. Fast wäre die nächste Leiche fällig gewesen! Offenbar war sie neuerdings eine Gefahr für die Menschheit. Sie sah dem älteren Herrn nach, der, ohne aufzublicken, die Straße überquerte. Er erinnerte sie an jemanden. Vivi kam nicht gleich darauf, dann aber fiel es ihr ein: Der Mann ähnelte Doktor Köhnemann, dem leicht zerstreuten Hausarzt, auf den Werner immer geschworen hatte. Doktor Köhnemann war bereits jenseits der siebzig. Er konnte nicht mehr richtig sehen, hörte schwer und hatte seine Blase nicht immer im Griff, trotzdem praktizierte er noch.
    Wie ein flammender Blitz zuckte eine Idee in Vivis Hirn auf. Eine ziemlich gute Idee, wie sie fand. Nachdem sie die Mülltüte am anderen Ende der Stadt in einem Abfalleimer versenkt hatte, raste sie mit Höchstgeschwindigkeit nach Hause.
    Als Vivi die Haustür aufschloss, flogen ihre Hände. Was sie vorhatte, war gewagt, möglicherweise sogar Wahnsinn. Doch besondere Umstände erforderten eben besondere Maßnahmen. Sie hatte keine Wahl. Eilig lief sie ins Wohnzimmer, wo der Schreibtisch stand, und blätterte in Werners Notizbuch. Der Schweiß brach ihr aus, während sie nach dem Namen suchte. Katzenbach, Kehlmann – Köhnemann. Da war er. Mitklammen Fingern griff sie zum Telefonhörer und wählte die Nummer.
    Das Tuten des Freizeichens dröhnte in ihren Ohren wie eine Totenglocke. Geh ran, beschwor sie den Arzt innerlich. Oder wach auf, wenn du schon schläfst! Immerhin war es schon fast zehn Uhr abends.
    »Kööööhnemann?«, meldete sich endlich eine mürbe Altmännerstimme.
    Vivi musste sich gar nicht verstellen. Ihre Aufregung hatte sich zu nackter Angst gesteigert. Alles hing jetzt von diesem greisen Mediziner ab.
    »Herr Doktor!«, sprudelte es aus ihr heraus. »Sylvia Bernburg hier! Es geht um Leben und Tod! Mein Mann ist zusammengebrochen. Vielleicht ein Herzinfarkt! Ich weiß, dass es spät ist, doch Sie müssen unbedingt kommen! Ich bin völlig verzweifelt!«
    Stille. Offenbar musste der alte Herr die brisanten Informationen erst einmal sortieren. Er räusperte sich.
    »Gnädige Frau, sind Sie sicher, dass es sich nicht einfach um eine Ohnmacht handelt? Bei dieser schwülen Wetterlage kommt das häufiger vor.«
    Vivi hätte ihn am liebsten angebrüllt. Doch sie zügelte sich.
    »Herr Dok-tor Köh-ne-mann!« Sie sprach jede Silbe überdeutlich aus. »Dies ist kein falscher Alarm. Wenn Sie nicht auf der Stelle herkommen, könnte es vielleicht zu spät sein. Ich will keinen Notarzt, verstehen Sie? Das sind dann irgendwelche Gynäkologen, die einen mit Aspirin abspeisen. Ich vertraue Ihnen, nur Ihnen. Und mein Mann hat Ihnen auch immer vertraut, wie Sie wissen.«
    »Tja.« Es folgte eine quälende Pause. »Dann muss ich mich ja wohl auf den Weg machen.«
    Eine halbe Stunde später klingelte Doktor Köhnemann an der Haustür. Sein schütteres weißes Haar stand nach allen Seiten ab, das blauweißgestreifte Hemd unter der verfilzten Strickjacke war zerknittert. In seiner
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