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Ich hasse dich - verlass mich nicht

Ich hasse dich - verlass mich nicht

Titel: Ich hasse dich - verlass mich nicht
Autoren: J Kreisman
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schien es, dass dieses Arrangement funktionieren könnte. Doris’ Erziehung gab Margaret einen Lebensinhalt, das Kind wurde zu Hause versorgt und Andrea hatte Zeit für ihre neue Aufgabe. Aber bald zeigten sich Risse im System: Margaret war manchmal zu betrunken oder depressiv, um helfen zu können. Wenn dies passierte, hatte Andrea ein einfaches Druckmittel: Sie drohte, Doris von Margaret wegzunehmen. Großmutter und Enkelin schienen einander so verzweifelt zu brauchen, dass Andrea die Kontrolle über den ganzen Haushalt übernehmen konnte.
    Trotz aller Arbeit fand Andrea Zeit für Männer, selbst wenn die häufigen Beziehungen immer nur von kurzer Dauer waren. Sie schien ein bestimmtes Muster zu verfolgen: Wenn ein Mann sich wirklich für sie interessierte, wurde er langweilig für sie. Sie hatte es auf distanzierte, ältere Männer abgesehen – Ärzte, verheiratete Bekannte, Professoren, alles Männer, die unerreichbar waren –, aber sobald sie auf ihre Annäherungsversuche eingingen, ließ sie sie fallen. Die jungen Männer, mit denen sie sich einließ, gehörten alle einer religiösen Gemeinschaft an, die Sexualität vor der Ehe ablehnte.
    Andrea mied Frauen und hatte keine Freundinnen. Sie hielt Frauen für schwach und uninteressant. Männer hatten wenigstens etwas Substanz. Sie hielt sie für Dummköpfe, wenn sie auf ihre Annäherungsversuche reagierten, und für Heuchler, wenn sie es nicht taten.
    Mit der Zeit wurde Andrea immer ängstlicher, je erfolgreicher sie am College war. Sie konnte ein bestimmtes Interesse – die Schule, ein bestimmter Mann – unablässig, fast obsessiv verfolgen, aber jeder Erfolg spornte sie zu noch höheren, unrealistischeren Anforderungen an. Trotz ihrer guten Noten litt sie unter Wutausbrüchen und drohte sich umzubringen, wenn sie in einer Prüfung ihren Erwartungen nicht gerecht wurde.
    In solchen Zeiten versuchte ihre Mutter sie zu trösten, aber auch Margaret beschäftigte sich immer häufiger mit dem Gedanken an Selbstmord, und oft wurden die Rollen vertauscht. Mutter und Tochter waren wieder häufiger im Krankenhaus anzutreffen, wo sie wegen Depressionen und Drogenmissbrauch behandelt wurden.
    Wie ihre Mutter und Großmutter kannte auch Doris ihren Vater nicht sehr gut. Manchmal besuchte er sie, und manchmal besuchte sie ihn in dem Haus, das er mit seiner Mutter bewohnte. Ihr gegenüber schien er immer unbeholfen.
    Da ihre Mutter distanziert war und ihre Großmutter unfähig oder mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, hatte Doris mit vier Jahren bereits die Kontrolle über den Haushalt übernommen. Sie ignorierte Andrea, die daraufhin ihre Tochter ebenfalls ignorierte. Wenn Doris einen Wutausbruch hatte, gab Margaret ihren Wünschen nach.
    Der Haushalt war fast ständig in einem chaotischen Zustand. Manchmal befanden sich Margaret und Andrea zur gleichen Zeit im Krankenhaus, Margaret wegen ihrer Alkoholprobleme, Andrea wegen ihrer Bulimie. In dieser Zeit kümmerte sich dann Doris’ Vater um die Tochter, obwohl er unfähig war, für sie zu sorgen, und diese Aufgabe seiner Mutter überließ.
    Oberflächlich betrachtet schien Doris merkwürdig reif für ein sechsjähriges Mädchen, trotz des Chaos, das um sie herum herrschte. Für sie waren andere Kinder »kindisch«, weil ihnen ihre Erfahrung fehlte. Sie glaubte nicht, dass ihre Art Reife ungewöhnlich war: Sie hatte Fotos von ihrer Mutter und Großmutter gesehen, als diese in ihrem Alter waren, und auf diesen Schnappschüssen hatten sie denselben Blick wie sie.
    Über Generationen hinweg
    Die Geschichte der Andersons ist in vielerlei Hinsicht typisch für Borderline-Fälle: Die Faktoren, die zum Borderline-Syndrom beitragen, erstrecken sich oft über Generationen. Die Genealogie der Borderline-Persönlichkeitsstörung steckt oft voller tiefer und lang anhaltender Probleme, einschließlich Selbstmord, Inzest, Drogenmissbrauch, Gewalt, Verlusten und Einsamkeit.
    Man hat beobachtet, dass Borderline-Patienten oft Mütter mit derselben Störung haben, deren Mütter wiederum unter demselben Syndrom gelitten hatten. Diese vererbte Neigung zu dieser Erkrankung führt zu einer Reihe von Fragen: Wie entwickeln sich Borderline-Merkmale? Wie werden sie in Familien weitergegeben? Und werden sie überhaupt weitergegeben?
    Wenn wir die Wurzeln dieser Krankheit untersuchen, stehen wir wieder vor der traditionellen Frage »Veranlagung oder Erziehung« (oder Temperament oder Charakter ). Die zwei Haupttheorien über die Ursachen der
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