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Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg

Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg

Titel: Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
Autoren: Peter Messner
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hartleibige Erkältung können zudem jeden Pilger jeden Tag treffen - ganz unabhängig von seiner Vorbereitung.
    Die körperliche Leistung ist elementarer Teildes Weges - wie man es auch dreht und wendet. Ich habe keinen gesehen, der trotz aller Seeligkeit über die staubigen Piste geschwebt ist. Wer zu sehr leidet, verpasst aber zu viel von der Schönheit der Landschaft, der Kultur und Architektur, vom Gespräch mit den Menschen. Wer zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, verliert schnell den Blick für das Wesentliche auf dem Camino. Das „Wir“. Pilgern ist ein Gemeinschaftserlebnis .
    Dies ist mein Buch über große und kleine Helden auf dem Camino, über Profipilger und Bekloppte - eben über fast ganz normale Menschen, die ein Stück ihres Lebensweges auf dem Camino zusammen gehen.

1. Tag von St. Jean nach Roncesvalles
    In den Tälern liegt leichter Nebel und in den kleinen Straßen ist noch kein rechtes Leben, als ich die steilen Kilometer aus St. Jean heraus aufsteige. Jetzt bin ich also Pilger. Die Schale einer Jakobsmuschel aus meinem französischen Kochkurs an der Mosel baumelt hinten am Rucksack. Innen drin sehen die Glibbertiere ja verboten eklig aus, aber die Muschel ist als Zeichen der Jakobspilger nun mal Usus. 1000 Jahre alte Corporate Identity. 800 Kilometer im Zeichen der Muschel liegen vor mir und ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass und wie man dasbewältigen kann. Erstmal Schritt für Schritt voran.
    Ich freue mich jetzt schon über mein relativ leichtes Gepäck. Rund acht Kilo plus die tägliche Verpflegung habe ich zu schleppen. Der moderne Rucksack mit einer halben Tube Zahnpasta, Unterwäsche, Socken und Hemd, Sandalen, Waschzeug, Medikamenten, Handtuch, Seidenschlafsack, Regen- sowie Fleecejacke im Rucksack entlastet meine Schultern fast völlig. Das Gewicht liegt, zunächst beinahe unfühlbar, auf den Hüften.
    Anfang und Ende des Caminos ist zunächst einfach nur ein leerer Rucksack. Was und wie viel man dann auf seinem Weg mit sich herumschleppt, bleibt jedem selbst überlassen. Ich werde Pilger treffen, die es anscheinend als moderne Art der Selbstgeißelung auffassen, viel zu viel Gerümpel mit sich herumzuschleppen. Und manche haben mehr auf der Seele liegen, als sie tragen können. Immerhin gilt der Jakobsweg seit dem Jahr 1099 als Buße - wenn man nebenher ein Jahr lang gegen die islamischen Mauren kämpft. Das muss jetzt nicht auch noch sein, lasst uns erstmal nur gehen, liebe Kirchenhistoriker. Kreuzzug ist doch auch, wenn es einem im Kreuz zieht, oder?
    Der steile Aufstieg zwischen den uralten Schmugglerpfaden sorgt schnell für Schweiß auf der Stirn und tolle Ausblicke über die Pyrenäen. Nach der Baumgrenze, als Linda bereits ihr Zelt in Orrison in holländischer Gemütlichkeit einrichtet -Wohnwagen gab´s hier leider keine - und der Wegzwischen Almen hindurch weiter nach oben führt, treffe ich die zwei Japaner von gestern wieder. Sie haben sich gleich zusammengeschlossen. Der sprachkenntnislose Asiate begrüßt mich mit einem rauen, kehligen Wortschwall, als er mich wiedererkennt. Wir Europäer sehen ja irgendwie alle gleich aus.
    Aus seiner fröhlichen Miene entnehme ich, dass er mich wohl nicht wüst beschimpft, auch wenn es sich für mich so anhört. Ich lächle zurück und versuche es erfolglos noch mal mit ein paar englischen Brocken. Er ist offensichtlich körperlich ziemlich untrainiert und röchelt rasselnd mit weit hervorquellenden Augen bergan wie ein bronchitisches Walross.
    Der andere Japaner, Hayato, spricht fließend englisch. Er ist Musiker von Beruf, Querflötist in großen Orchestern. Er hat schon viel von Europa gesehen, ist auch in Deutschland zwischen Bonn und Hamburg aufgetreten. Was ihn diesmal aus Japan ans andere Ende seiner Welt treibt, ist allerdings beeindruckend: „Ich gehe den Weg zu Ehren meiner im Tsunami gestorbenen Freunde“, sagt er mit weicher Stimme. Der kleine Mann mit für mich unschätzbarem Alter beschreibt das mit so viel Würde in seinem Gesichtsausdruck, dass ich ihm nur noch ehrfürchtig zuhöre und mal keine Witzchen mache. Die unfassbaren Fernsehbilder von der Natur- und Atomkatastrophe in seiner Heimat laufen vor mir ab. Fünf Menschen, die ergut kannte, sind von der Flut und dem Erdbeben getötet worden. Die Familie eines Onkels hat er -teilweise - beerdigt. Einige der Körper sind nicht wieder aufgetaucht. Und jetzt macht er sich natürlich große Sorgen wegen der Folgen der radioaktiven Strahlung aus
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