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Ich bin dein, du bist mein

Ich bin dein, du bist mein

Titel: Ich bin dein, du bist mein
Autoren: Ravensburger
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eine abwehrende Handbewegung. »Ich will es nicht wissen.«
    »Wirklich nicht?«, fragte Jan, der auf einmal zu spüren schien, dass jetzt die Gelegenheit gekommen war, aus dieser unwürdigen Rechtfertigungsnummer herauszukommen. Er stand auf. Nervös strich er sich das schwarze Haar aus dem schmalen Gesicht.
    Judith musste zugeben, er gefiel ihr noch immer: hoch aufgeschossen, sonnengebräunt, ein Skatertyp. Einer, auf den die Mädchen standen. Doch ihr Entschluss stand fest: »Verschwinde.«
    Er zuckte zurück, drückte den Rücken durch, bis er ganz aufrecht stand, und schüttelte langsam den Kopf. Dann drehte er sich um und ging.
    Als die Haustür leise zugezogen wurde, brach Judith in Tränen aus.

    Er hatte sich auf den ersten Blick in sie verliebt. Ihr langes, rotes Haar. Die helle, fast weiße Haut. Die Sommersprossen. Nicht viele, aber genug, um ihrem schmalen Gesicht die Frische eines kühlen Frühlingstags zu verleihen. Groß gewachsen, schlank und anmutig. Grüne Augen, so magisch, dass man sich in ihnen wie in einem sonnendurchfluteten Wald verlieren konnte. Gabriel wusste augenblicklich, dass sie füreinander bestimmt waren. Wie zwei vomSchicksal getrennte Hälften, die wieder zu einem Ganzen werden mussten. Nun, er hatte sich dazu entschlossen, dem Schicksal ein wenig auf die Sprünge zu helfen.
    Zu Beginn musste er sich mit den wenigen Fotos begnügen, die sie ihm, ohne es zu wissen, von sich aus schenkte. Judith hatte einen Facebook-Account und wie viele andere Mitglieder sammelte sie Freundschaftsanfragen wie Briefmarken. Als er mehr über sie erfuhr, konnte er es wagen, sich ein eigenes Bild von ihr zu machen.
    Er fotografierte sie, immer und immer wieder. Anfangs nur mit seinem Handy, doch sehr bald war er mit der Qualität der Bilder nicht mehr zufrieden.
    Also ging er zu einer Spiegelreflexkamera und einem Teleobjektiv über. Er begann mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die er selbst entwickelte. Allerdings war es schwer, den richtigen Film dafür aufzutreiben. Die Fotografie, echte Fotografie mit einer altmodischen Kamera, war eine Kunst, die immer mehr in Vergessenheit geriet. Das Spiel mit Blende, Belichtungszeit und Filmempfindlichkeit war nichts für Ungeduldige. Als er zum ersten Mal in der kleinen Dunkelkammer stand, die er sich im Keller eingerichtet hatte, zwischen all den aufgerissenen Kartons, verstaubten Einmachgläsern und abgelaufenen Konserven, überkam in plötzlich ein Gefühl glückseliger Nähe. Endlich war er ganz bei ihr und sie ganz bei ihm.
    Später wagte er sich an die ersten Farbabzüge, doch mit dem Ergebnis war er nur selten zufrieden. Entweder waren die Bilder zu blass und zu flach – einfach nichtssagend. Oder sie strahlten unnatürlich wie Aufnahmen in einem Hochglanzmagazin. Er experimentierte lange, um die richtigen Filme, das richtige Papier zu finden. Von hundert Fotos waren vielleicht zwei oder drei wirklich brauchbar gewesen. Einige von ihnen hatte er Judith vor zwei Tagen zukommen lassen. Sozusagen als Arbeitsprobe. Beim Gedanken daran musste er jetzt noch grinsen.
    Ja, er hatte Judith lange beobachtet.
    Er wusste, wann sie aufwachte.
    Er wusste, wie viel Zeit sie im Bad verbrachte.
    Er wusste, was sie frühstückte.
    Er wusste, wann sie das Haus verließ, wann sie den Bus oder das Fahrrad nahm und wann sie von einer Freundin abgeholt wurde.
    Er wusste, in welche Schule sie ging.
    Und er wusste, mit wem sie zusammen war – noch.
    Die Dinge nehmen ihren Lauf, dachte er zufrieden.
    Der Abend hatte noch nicht die ersehnte Kühle gebracht, als Gabriel mit der Vespa in den Feldweg zu seinem Hof einbog, der groß und dunkel am Waldrand lag.
    Gabriel stellte den Roller in den Schuppen, deckte ihn wieder sorgfältig mit der grauen Plane ab und ging zurHaustür, deren Schloss noch immer nicht geölt war. Irgendwann würde ihm noch der Schlüssel abbrechen. Immer wieder nahm er sich vor, die Sache zu beheben, und immer wieder schob er es auf. Ärgerlich. Ich muss viel disziplinierter werden, dachte er. Aber das kostet so viel Kraft!
    Beim dritten Versuch gelang es ihm, den Schlüssel umzudrehen, und er stieß die Tür auf. Der dumpfe Geruch nach Küche und Staub und Erinnerungen umfing ihn wie ein schweres Tuch. Er schloss die Tür, hob die Briefe auf, die er am Mittag so achtlos beiseitegeschoben hatte, und legte sie in den Korb zu den anderen Rechnungen. Morgen Früh würde er sich darum kümmern. Jetzt musste er erst noch eine Mail schreiben, dann konnte er endlich
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