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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle
Autoren: Jürgen Ebertowski
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anzünden wollte, hielt mitten in der Bewegung inne,
und Benno sperrte den Mund weit auf.
    »Als er zu Brandermann in den Wagen
stieg, habe ich ihn nicht gleich erkannt, weil eine Gesichtshälfte von Narben
entstellt war, sondern erst, als der Mercedes danach ziemlich dicht an uns
vorbeifuhr. Da konnte ich seinen Kopf von der anderen Seite sehen. Brandermanns
Beifahrer war eindeutig Otto Kassner.«
    Karl, Benno und Lilo starrten Vera
wortlos an.
    Major Miller räusperte sich. »Wer ist
denn dieser Herr Kassner, dass es Ihnen derart die Sprache verschlägt?« Kaum
hatte er die Frage ausgesprochen, redeten alle gleichzeitig auf Vera ein.
     
     
    »… in welcher Beziehung Brandermann und
Kassner zueinander stehen«, sagte Major Miller schließlich, »wissen wir nicht.
Tatsache bleibt, dass einer der Männer in der Frohnauer Villa ebenfalls eine
entstellte Gesichtshälfte hatte. Zwei der vier Geldfälscher sind von der
Nachbarin anhand der Fotos schon identifiziert worden. Was wir somit vorrangig
benötigen, ist ein Bild von Brandermann. Wenn er damals auch im Kasinoweg
gewohnt hat, dann ist klar, wer der Rest der Bande ist.«
    »Een Bild von Brandermann? Wenn’ s weiter
nischt is«, sagte Benno, wühlte in einer Schublade und legte einen Stapel
Fotografien auf den Tresen. »Det sind Uffnahmen von meenem Jeburtstach. Na
bitte, da isser schon!«
    Horst Brandermann und Birgit Kellner
saßen an einem Tisch neben der Tanzfläche und lächelten in die Kamera.
    »Ausgezeichnet!«, sagte der Major. »Dann
schlage ich vor, Sie, Herr Hofmann, fahren am besten umgehend nach Frohnau und
zeigen Fräulein Schwandt das Foto. Und Sie«, er wandte sich an Vera, »statten
derweil Fräulein Kellner einen Besuch ab. Aber bevor Frau Binder mit ihr
spricht, muss ich dringend im Föhrenweg anrufen.«
    »Der Apparat is vorne anner Jarderobe«,
sagte Lilo.
    Während Miller Bill Gleason informierte,
beriet Vera sich mit Karl. »Ich tue einfach so, als hätte ich einen Spaziergang
gemacht und spontan entschieden, bei ihr vorbeizuschauen.« Sie sah auf ihre
Armbanduhr. Es war siebzehn Uhr dreißig.
    »Wenn Brandermann wider Erwarten doch im
Büro sein sollte, können wir uns den Weg in die Uhlandstraße sparen«, gab Karl
zu bedenken.
    Vera nickte. »Aber warten wir erst einmal
ab, was Lilo herausfindet.«
    Major Miller kam in den Schankraum
zurück. »So, ab morgen früh wird Brandermann rund um die Uhr beschattet.«
    »Na, denn versuch ick jetz mal meen
Glück«, sagte Lilo und ging zum Telefon.
    Zwei, drei Minuten später trat sie breit
grinsend an den Tresen. »Im Flunkern war ick immer schon einsame Klasse! – Also:
Die Birgit hockt alleene inner Uhlandstraße. Ick hab een Taschentuch uff die
Sprechmuschel jepackt, damit se
meene Stimme nich erkennt: ›Nee, gnädije
Frau, ‘nen Laster könne man wejen der Luftbrücke zur Zeit wahrscheinlich nich
mieten, und der Herr Brandermann war ooch später nich inner Firma. Aber ick
könnte ja ruhich morjen früh um acht noch mal durchklingeln, da wär er
jarantiert wieder im Büro.‹«
    Benno machte sich auf nach Frohnau. Karl,
Vera und der Major fuhren zur Uhlandstraße.
    Vera verschwand im Hauseingang. Miller
und Karl blieben im Horch sitzen.
    »Wie kommt es, dass mir der Name Kassner
gar nichts sagt?«, fragte der Major.
    »Als Sie damals im Adlon abstiegen,
war er noch im Weinkeller beschäftigt. Empfangschef wurde er im letzten
Kriegsjahr.«
    »Und die Männer, mit denen er durch den
Tunnel geflüchtet ist, davon kannten Sie keinen?«
    »Nein. Die trafen erst einen Tag zuvor
mit den Reichsbank-Kisten ein. Aber es ist gut denkbar, dass Wagener und Richter
dabei waren. In der Brandnacht hat es im Hotel von hohen SS-Offizieren nur so
gewimmelt.«
    »Und Brandermann?«
    Karl zuckte mit den Achseln. »Ich konnte
nur durch einen schmalen Spalt in der Deckenluke hinunter in den Keller sehen.
Außer Kassner habe ich niemanden deutlich erkannt.«
    »Sie sagten, die Goldfasane trugen alle
russische Uniformen. Wagener konnte Russisch. Das stand in seiner Akte. – Was
ist mit Brandermann?«
    »Er auch. Im Oriental hat
er sich mit Wassilinski immer in dessen Muttersprache unterhalten.«
    Vera ging durch den Hausflur in den
Hinterhof zu Brandermanns Büroräumen im Seitenflügel.
    Birgit machte erst nach längerem Klopfen
auf. »Ach, du bist’s!«
    »Ich kam zufällig vorbei, um euch zu
fragen, ob ihr nachher ins Oriental kommt.«
    »Ich nicht.« Birgit zeigte frustriert auf
mehrere hohe Papierstapel.
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