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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle
Autoren: Jürgen Ebertowski
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auf neu gedruckte
Geldscheine zurückgreifen und musste Reichsbanknoten mit einem Aufkleber
versehen. Der verwendete Klebstoff war von schlechter Qualität. Die Aufkleber
lösten sich leicht von den Scheinen, was dem Ostgeld im Volksmund schnell die
wenig schmeichelhafte Bezeichnung »Tapetenmark« eintrug. Die tatsächlich in
Umlauf gebrachte Geldmenge war schwer einschätzbar, da gleich in den ersten
Tagen der SMAD -Reform Aufklebe-Couponbögen – echte und gefälschte – stapelweise
auf den Schwarzmärkten angeboten wurden. Das Vertrauen der Berliner in die
DM-Ost schwand ungeachtet der günstigeren Einwechselquote rapide. Während im
sowjetisch besetzten Teil der Stadt der Besitz von Westmark ein Strafbestand
war, ließen die westalliierten Stadtkommandanten in ihren Sektoren die Westmark
neben der Ostmark als Zahlungsmittel zu. Sie vertrauten darauf, dass der Kurs
sich nach den anfänglichen Irritationen zugunsten der westlichen Währung
entwickeln würde.
    Groß-Berlin war immer noch eine
Verwaltungseinheit und besaß weiterhin seine gewählte Volksvertretung, und
trotz massivster Störungen seitens der SED wurde nach wie vor in Ost-Berlin
getagt. Wegen der im Ostteil der Stadt wohnenden, aber im Westen arbeitenden
Bevölkerung entschloss man sich in West-Berlin deshalb, alle Löhne und Gehälter
zu fünfundsiebzig Prozent in Tapetenmark auszuzahlen, damit die Betroffenen
ihre Mieten und sonstigen Verpflichtungen wie öffentliche Verkehrsmittel
bezahlen konnten. Ferner sollten die West-Berliner nicht ihrer Möglichkeit
beraubt werden, im Osten der Stadt einzukaufen.
    Durch das Währungschaos erlebten die Berliner
die Einführung der DM-Ost und -West völlig anders als die Bewohner von etwa
Hamburg, Hannover oder München. Dort waren am Montag nach der Ausgabe des
Vierzig-D M -Kopfbetrags die Schaufenster der Geschäfte üppig mit
Waren gefüllt, die bis dahin kaum auf dem Schwarzmarkt erhältlich gewesen
waren. In Berlin hingegen gestaltete sich das Warenangebot wegen der beiden
zeitgleich eingeführten Währungen zögerlicher. Auch hier hatte man für den Tag
X der neuen Währung Waren gehortet, aber die Geschäfte blieben überwiegend
geschlossen. Wer etwas zu verkaufen hatte, wartete wie Benno erst einmal die
Geldentwicklung ab.
    Die Rechnung der Westalliierten ging
schließlich auf. Die Westmark, von der Ost-Presse überwiegend abwertend als
»Clay-Mark« bezeichnet, war bei den Berlinern begehrter als die dubiose
Tapetenmark.
    Als Benno das Oriental wieder
aufmachte, hatte sich der Wechselkurs kalkulierbar eingependelt, nur um
Kundschaft war es plötzlich knapp bestellt. Zum Glück besuchten Bennos betuchte
Stammgäste die Café-Bar weiterhin regelmäßig, aber Otto Normalverbraucher, der
sonst auf ein, zwei Biere hereingeschaut hatte, ließ sich kaum noch blicken.
    Otto Normalverbraucher in Berlin hatte
andere Sorgen.
     
     
    Horst Brennecke legte ein schmales Bündel
DM-West auf den Tisch. Ȁrgerlich, aber mehr war beim besten Willen nicht
aufzutreiben.«
    Kassner zählte das Geld. »Macht nichts.
Immerhin sind wir damit fast alle Blüten los. Wer hat sie dir denn abgenommen?«
    »Ein Devisenschieber aus Potsdam, von dem ich wusste,
dass er im großen Stil mit Tapetenmark-Coupons handelt.«
    »Reicht das Geld jetzt, um die Lastwagen zu kaufen?
Unseren Goldvorrat würde ich dafür nur ungern anbrechen.«
    »Es müsste gerade so hinhauen.«
    »Und die Verträge mit der
Flughafenverwaltung gehen wirklich klar?«
    »Da gibt es bestimmt keine Probleme.
Schließlich waren sie mit meinen Bautrupps bislang zufrieden.«
    »Wenn ich dich richtig verstanden habe,
wollen sie auch noch andere Spediteure beschäftigen, um die alliierten
Hilfslieferungen in West-Berlin zu verteilen.«
    »Na und? Bei den riesigen Frachtkontingenten, die
demnächst täglich anfallen werden, ist der Kuchen für alle dick genug. Die Amis
fliegen die Waren neuerdings mit viermotorigen DC-4-Maschinen ein, die viermal
so viel Ladung transportieren können wie eine Dakota oder Skytrain. Und die
Briten setzen sogar Sunderland-Flugboote auf der Havel ein. – Ach so, wegen
deiner Schweißer bleibe ich bei der Flughafenverwaltung auch am Ball. Den
Sachbearbeiter, der für die Auftragsvergabe an Metallbaufirmen zuständig ist, treffe
ich morgen oder übermorgen.«
    Kassner betätschelte seine vernarbte Gesichtshälfte.
»Der Haken an der Angelegenheit ist: Ich kann mir kaum vorstellen, dass die in
Tempelhof meine Firma unter Vertrag nehmen,
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