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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Juni
ausgezahlt werden sollten. Spareinlagen und Guthaben auf Geldinstituten würden
im Verhältnis zehn zu eins umgetauscht werden.
    Am Samstag besuchten Karl und Vera die
Hofmanns in Tempelhof. Es regnete, deshalb setzte man sich nicht nach draußen
in den Garten, sondern blieb zum Kaffeetrinken im Haus.
    Benno räumte den zerfledderten Tagesspiegel vom Küchentisch, damit Lilo eindecken konnte. »Meen Wort druff, det wird
Onkel Stalin aber jehörich uff de Palme bringen!«
    »Schon geschehen«, sagte Vera. »In den
RIAS-Nachrichten vorhin hieß es, dass die Russen schon ab Mitternacht alle
Übergänge von den Westzonen in ihre Zone gesperrt haben.«
    »Na bitte, da harn wa doch schon den
Salat! Aber wat is eijentlich mit Berlin? Davon war nirjendwo die Rede, det wa
hier zumindest im Westteil ooch die D-Mark kriegen, oder hab ick wat
überlesen?«
    Karl schüttelte den Kopf. »Nein, das hat
mich auch erstaunt. Aber vielleicht wollte man die Russen nicht noch mehr
reizen, schließlich existiert allen Reibereien zum Trotz immer noch die
Viermächteverwaltung der Stadt.«
    »Is ja richtich, Karlchen, aber überleech
doch mal, wat det für uns bedeuten würde: Wenn se bei uns nich
ooch det neue Jeld in Umlauf bringen, denn können se nämlich ihre
janze Reform inne Tonne treten. Erstens, weil se hier die
Inflation noch mehr anheizen, und zweetens, weil ihnen denn keen Berliner mehr
abnimmt, det se dem Stalin nich doch irjendwann den janzen Laden hier
einfach überlassen. – Eijentlich können se sich det nich erlooben, aber
langsam traue ick denen allet zu. Oder wat meenst du dazu?«
    Bennos Befürchtung, den West-Berlinern
würde die neue Deutsche Mark vorenthalten werden, war spätestens am 23. Juni
gegenstandslos. Als Reaktion auf die Geldumstellung in den drei Westzonen
ordnete der Oberste Chef der SMAD, Marschall Solokowski, für Groß-Berlin und
die S BZ die Einführung einer eigenen Währung an, der
Deutschen Mark Ost. Noch am gleichen Tag antworteten die Westalliierten auf
Drängen des amerikanischen Militärgouverneurs Clay mit der Einführung der
DM-West als gesetzliches Zahlungsmittel für den Westteil der Stadt. Prompt
wurde den West-Berlinern noch in der Nacht zum 24. Juni der Strom abgedreht,
der überwiegend von Kraftwerken in Ost-Berlin und der S BZ produziert
wurde. Zeitgleich unterbanden die Sowjets nahezu den gesamten Waren- und
Personenverkehr zwischen Berlin und den drei Westzonen. Die offizielle
Stellungnahme der SMAD für diese Maßnahmen klang vertraut: Stromabschaltung und
Sperrung der Zufahrtswege wären »wegen technischer Schwierigkeiten« notwendig.
    Bennos lapidarer Kommentar auf die
Erklärung Solokowskis lautete: »Na, wenichstens haben se vor Wut nich
jleich losjeballert. Irjendwie scheinen se den Ball doch flach halten zu
wollen. Und den Majistrat von Jroß-Berlin harn se ooch nich
postwendend nach Sibirien verfrachtet. Een paar Tage, und der Spuk is wieder
vorbei. War doch bisher immer so. – Und außerdem«, er pochte auf den Tagesspiegel, »harn wa hier im Westen für vier Wochen Kohle und zu futtern jebunkert, hat
der Clay jesacht.«
    Karl, der durch die Arbeit mit Major
Miller besser über die politische Großwetterlage informiert war, konnte den
Optimismus seines Freundes nur begrenzt teilen. »Stimmt, aber die
Westalliierten scheinen dem Frieden doch nicht so recht zu trauen. Auf dem
Flugplatz ist neuerdings die Hölle los. Mit jeder Maschine werden
sicherheitshalber weitere Vorräte in die Stadt eingeflogen.«
    »Det hab ick jestern im RIAS ooch jehört,
und taub bin ick ooch nich, Karlchen. Hasso hat fast ‘nen Herzkasper jekriegt,
weil da so’n dicker Brummer direkt übert Haus jedonnert is.«
    »Miller beabsichtigt übrigens, morgen
Abend mit ein paar Gästen ins Oriental zw. kommen.«
    »Bestell ihm, der Laden is ab morjen
vorerst dicht.«
    »Wieso das?«
    »Ick bin doch nich bescheuert. Ick mach
erst wieder uff, wenn der Kurs vonner Tapetenmark einijermaßen stabil is. Da
blickt ja keener mehr durch! Mal steht die Ostmark zehn zu eins, ‘ne Stunde
später nur fünf zu eins, und noch ‘ne Stunde weiter kriegste für ‘ne Westmark
wieder sieben Russenmark. Det is mir momentan zu heikel, meenen juten Schnaps
womöchlich weit unter Preis zu verkoofen, bloß weil ick mal wieder ‘ne Kursschwankung
verpennt hab.«
    Die SMAD gewährte
zwar die bessere Umtauschquote als der Westen, konnte aber anfangs bei der von
ihr eingeleiteten Geldreform nicht wie die Westalliierten
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