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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Verdopplung des Goldes verführt, umschmeichelte José Arcadio Buendía Ursula manche Woche hindurch, um ihre Erlaubnis zu erlangen, ihre Kolonialmünzen auszugraben und sie so oft zu vervielfältigen, wie Quecksilber sich teilen ließ. Wie immer gab Ursula der unerschütterlichen Hartnäckigkeit ihres Mannes nach. Nun legte José Arcadio Buendía dreißig Dublonen in eine Pfanne und schmolz sie unter Zusatz von Kupferspänen, Operment, Schwefel und Blei. Dann kochte er das Ganze bei starkem Feuer in einem mit Rizinusöl gefüllten Kessel zu einem zähflüssigen, stinkenden Sirup auf, der eher gewöhnlichem Karamel glich als dem prächtigen Gold. Nach gewagten, verzweifelten Destillationsverfahren, nach einer Verschmelzung mit den sieben Planetenmetallen, nach einer Behandlung mit Quecksilber und zyprischem Vitriol, nach nochmaligem Aufkochen in Schweineschmalz mangels Rettichöls blieb von Ursulas kostbarer Erbschaft nur eine verkohlte, am Kesselboden festgebackene Kruste übrig.
    Als die Zigeuner wiederkamen, hatte Ursula die ganze Bevölkerung gegen sie aufgehetzt. Doch Neugierde vermochte mehr als Furcht, da die Zigeuner diesmal, mit allen Arten von Musikinstrumenten einen ohrenbetäubenden Lärm vollführend, durch die Gassen zogen, während der Ausrufer die Vorführung der fabelhaftesten Entdeckung der Nazianzener verkündete. So strömte denn alles Volk ins Zelt und erblickte dort gegen Zahlung eines Centavo einen jugendlichen, wiederhergestellten, entrunzelten Melchíades mit neuer schimmernder Zahnreihe. Wer sich an sein vom Skorbut zernagtes Zahnfleisch, seine ausgezehrten Wangen und seine welken Lippen erinnerte, entsetzte sich über diesen schlagenden Beweis der übernatürlichen Kräfte des Zigeuners. Und das Entsetzen wurde zu panischer Angst, als Melchíades die tadellosen, ins Zahnfleisch eingelassenen Zähne herauszog und sie den Zuschauern einen Augenblick zeigte — einen flüchtigen Augenblick, in dem er wieder der hinfällige Mensch vergangener Jahre wurde —, sie von neuem einsetzte und wiederum im Vollbesitz seiner wiederhergestellten Jugend lächelte. Selbst José Arcadio Buendía war der Meinung, die Kenntnisse des Melchíades hätten die Grenzen des Erträglichen erreicht, war jedoch angenehm enttäuscht, als der Zigeuner ihm unter vier Augen den Mechanismus seines falschen Gebisses erklärte. Dieses kam ihm so einfach und wunderbar zugleich vor, daß er über Nacht jedes Interesse an seinen alchimistischen Untersuchungen verlor; wieder wurde er von Übellaunigkeit befallen, wieder nahm er keine regelmäßigen Mahlzeiten zu sich und verbrachte seine Tage, indem er ruhelos durchs Haus streifte. »Unglaubliche Dinge gibt es in der Welt«, sagte er zu Ursula. »In nächster Nähe, auf dem anderen Flußufer, gibt es alle Arten von magischen Apparaten, und wir leben hier noch immer wie die Maulesel.« Wer ihn aus der Zeit von Macondos Gründung kannte, staunte, wie sehr er sich unter Melchíades' Einfluß verändert hatte.
    Anfangs war José Arcadio Buendía eine Art jugendlicher Patriarch gewesen, der Anweisungen für die Aussaat und Ratschläge für die Aufzucht von Kindern und Tieren erteilte, der zum Gedeihen der Gemeinde bei allem, auch bei der körperlichen Arbeit, mitwirkte. Da sein Haus von Anfang an das beste des Orts war, wurden die anderen nach seinem Vorbild gebaut. Es hatte ein geräumiges, gut erleuchtetes Wohnzimmer, ein terrassenartiges Eßzimmer mit farbenfrohen Blumen, zwei Schlafzimmer, einen Innenhof mit einer riesigen Kastanie, einen wohlbestellten Gemüsegarten und einen Korral, in dem Ziegen, Schweine und Hühner einträchtig beieinander wohnten. Die einzigen, nicht nur im Hause, sondern im ganzen Dorf verbotenen Tiere waren die Kampfhähne. Ursulas Arbeitseifer war nicht geringer als der ihres Mannes. Tatkräftig, genau, streng, schien diese stahlnervige Frau, die nie jemand singen hörte, allgegenwärtig vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Nacht und immer verfolgt vom sanften Geraschel ihrer Leinenröcke. Dank ihrer waren die Fußböden aus gestampfter Erde, die ungekalkten Lehmwände, die ländlichen, selbstgezimmerten Holzmöbel stets sauber, und die alten Truhen, in denen die Wäsche aufbewahrt lag, verströmten den lauen Duft von Basilikum.
    José Arcadio Buendía, der unternehmungsfreudigste Mann, der je im Dorf gesehen worden war, hatte die Siedlung so geplant, daß man von jedem der Häuser den Fluß erreichen und mit gleicher Mühe Wasser schöpfen konnte, er
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