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Hueter Der Macht

Hueter Der Macht

Titel: Hueter Der Macht
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Sterbenden lenkte, die auf den Straßen Roms lagen, spürte er, wie seine Seele unter der Last der Verzweiflung ächzte.
    Er fürchtete sich sehr, nicht nur vor dem, was er am Höllenschlund vorfinden würde, sondern auch davor, dass er tatsächlich sein Leben lassen müsste… wer würde ihm dann folgen? Wer würde sich dann um diesen Ort kümmern?
    »Ich hätte es wirklich jemandem erzählen sollen«, murmelte er. Doch wem hätte er es sagen können? Wem sich anvertrauen? Die Päpste waren zügellos und verdorben, und sonst gab es niemanden. Gar niemanden.
    Oder kam sonst noch jemand in Frage?
    Gott und die Engel hatten sich auf die Päpste verlassen, und nun hatten diese Gott für eine Truhe französischer Goldmünzen verraten.
    Verflucht sollen die Engel sein! Wenn ihre Sünden nicht gewesen wären…
     
     
    Wynkyn brauchte beinahe sechs Wochen, um nach Nürnberg zu gelangen, und er dankte Gott dafür, dass er die Stadt überhaupt erreichte.
    Jedes Städtchen, jeder Weiler, jedes Dorf, durch die er gereist war, hatte sich im Würgegriff der schwarzen Pest befunden. Hände hatten sich ihm aus Fenstern, Türen und Rinnsteinen entgegengestreckt und den durchreisenden Mönch um Beistand gebeten, um ein Gebet, oder zumindest um die Letzte Ölung, doch Wynkyn hatte sie nicht beachtet.
    Sie waren allesamt Sünder – warum sonst hätte Gottes Zorn sie getroffen? –, und Wynkyn wollte so schnell wie möglich an sein Ziel kommen.
    Weitaus schlimmer als die bittenden Hände der Sterbenden waren die habgierigen Hände der Banditen und Geächteten, die sich auf den Straßen und in den Bergen zuhauf herumtrieben. Doch Wynkyn war listig – ein Geschenk Gottes –, und wann immer die Banditen sahen, dass sich Wynkyn ein Tuch an den Mund drückte, und das Röcheln seines Hustens hörten, wichen sie vor ihm zurück und bekreuzigten sich.
    Selbst Wynkyn war gegen die Pest jedoch nicht ewig gefeit. Nicht in seinem Alter.
    Am Quatembersamstag kam Wynkyn de Worde in ein kleines Dorf, zwei Tagesreisen von Nürnberg entfernt. Einige Männer und Frauen, die an der Pest erkrankt waren, lagen am Straßenrand. Eine Frau – möge Gott sie verfluchen! – war aufgestanden und auf den vorbeireitenden Mönch zugetaumelt, doch als sie sich an die Schulter seines Maultiers lehnte und ihn um Hilfe anflehte, hatte Wynkyn sie heftig beiseitegestoßen.
    Und dabei war es geschehen. Ohne dass der Mönch es wusste, war in dem Moment, als er die Hand ausstreckte, um die Frau abzuwehren, der tödliche Kuss der Pest auf ihn übergesprungen. Er hatte der Frau den Fuß auf die Brust gesetzt, und als er die Hand zum Gesicht gehoben hatte, um sich zu bekreuzigen, war die Pest unsichtbar von seiner Hand in den Mund gelangt.
    Es war geschehen und die Engel konnten nichts weiter tun als wehklagen.
    Das Läuten der Klageglocken erfüllte ganz Nürnberg mit trübseliger Stimmung. Selbst diese große nördliche Handelsstadt war vom Wüten der Pest nicht verschont geblieben. Wynkyn gelangte nur deshalb durch das Tor hinein, weil die Stadt dringend Gottesdiener brauchte, die den vielen Sterbenden das letzte Geleit gaben. Doch Wynkyn hatte nicht vor, irgendjemandem die Beichte abzunehmen. Er ritt auf seinem von der Reise geschwächten Maultier zum Kloster der Dominikaner im Ostteil der Stadt und verlangte, den Prior zu sprechen.
    Das Kloster war von der Pest ebenso schlimm betroffen wie Nürnberg selbst, und der Bruder, der Wynkyn am Tor des Klosters empfing, teilte ihm mit, dass der Prior drei Nächte zuvor verstorben war.
    »Bruder Guillaume hat nun das Amt des Priors übernommen«, sagte der Bruder.
    Wynkyn zeigte keinerlei Regung – der Tod überraschte oder schreckte ihn längst nicht mehr – und bat darum, dass der Mönch ihn zu Bruder Guillaume führte. »Und helft mir, diese Schatulle zu tragen, Bruder, denn ich bin müde von der Reise.«
    Der Bruder nickte. Er kannte Wynkyn gut.
    Bruder Guillaume begrüßte Wynkyn mit kaum verhohlenem Widerwillen und großer Ungeduld. Er hatte diesen herrischen Mönch aus Rom nie gemocht, und weder er noch einer der anderen Mönche in der von der Krankheit befallenen Klostergemeinschaft hatten Zeit, sich um Wynkyns Wünsche zu kümmern.
    »Nur eine Mahlzeit«, sagte Wynkyn, als er Guillaumes Reaktion sah, »und eine Bitte.«
    »Und die wäre?«
    Wynkyn wies mit einem Kopfnicken auf die Schatulle. »Morgen früh reite ich in den Wald nördlich der Stadt. Wenn ich innerhalb einer Woche nicht zurückkehre, bitte ich Euch,
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