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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition)
Autoren: Hanni Münzer
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strich das Papier glatt, das sich als Zeitungsausschnitt entpuppte. Es zeigte eine Szene in einem Gerichtssaal, offenbar den Angeklagten. Leider war das Foto ohne Text ausgeschnitten worden. Dabei war es weniger der Mann, der Felicity interessierte, als vielmehr die Frau im Hintergrund. Sie hatte in ihr ihre Großmutter erkannt. Sie saß in der ersten Zuschauerreihe und hielt den Blick starr auf den Angeklagten gerichtet. Felicity hatte noch nie so viel tödlichen Hass in einem Gesicht gesehen. Der Kleidung des Mannes und dem Alter ihrer Großmutter nach stammte der Ausschnitt aus den 60er Jahren. Wer war der Mann? Warum hatte sich ihre Großmutter für ihn interessiert? Aus der Rückseite wurde sie auch nicht schlau. Der Ausschnitt schien Teil einer Todesanzeige zu sein. Allerdings in einer fremden Sprache, die aus Zeichen bestand, die sie nicht kannte. Aber sie vermutete, dass es Hebräisch war. Falls ja, wie kam ihre Großmutter auf ein Bild in einer israelischen Zeitung?
     
    Felicity wusste, dass es wenig Sinn hatte, sich an die Polizei zu wenden. Ihre Mutter war eine erwachsene Frau und konnte reisen, wohin sie wollte und wann sie wollte. Ohne lange zu zögern hatte sie daher beschlossen, ihr zu folgen und sie selbst zu suchen. Natürlich sorgte sie sich um ihre Mutter, aber ebenso grollte sie ihr, weil sie ihren Vater einfach so im Stich gelassen und ohne ein Wort verschwunden war. Ihr Vater würde keine ruhige Minute mehr haben, bis er nicht von ihr oder ihrer Mutter gehört hatte. Olivia hatte ihr versprochen, sich solange um ihn zu kümmern. Die Reise nach Kabul um einige Tage zu verschieben war kein Problem gewesen.
    „Warte, Felicity!“ Sie drehte sich um und sah jetzt Richard, ihren Beinahe-Verlobten, mit schnellen Schritten auf sich zukommen.
    „Wie schön, dass ich dich noch erwische, Felicity.“ Er umarmte und küsste sie ausgiebig zur Begrüßung, als hätten sie sich nie getrennt. Dann ließ er sie los und grinste sie mit dem Lächeln an, dass sie so sehr an ihm liebte. „Entschuldige, alte Gewohnheit.“ Richard schien wegen des Kusses nicht im Geringsten verlegen, im Gegensatz zu Felicity. Sie hatte ihn spontan erwidert. Dabei hatte sie sich doch fest vorgenommen, ihm keine weiteren Hoffnungen zu machen! Richard sollte frei sein für eine neue Liebe. Wie es schien, war ihr Herz weit weniger konsequent als ihr Verstand. Warum war er hier? Sie fühlte sich nicht stark genug für eine Wiederholung der Szene am Abend zuvor.
    Richards Anwesenheit erklärte sich mit dem nächsten Satz: „Olivia hat mir gestern Abend noch alles erzählt. Sie meinte, deine Mutter hätte eine Art Midlife-Crisis und wäre tatsächlich ohne ein Wort nach Rom verschwunden? Einfach so? Merkwürdig, Spontanität ist nichts, was ich mit Martha Benedict je in Verbindung gebracht hätte. Und du hast beschlossen, ihr hinterherzureisen?“
    Gott sei Dank, dachte Felicity erleichtert. Er war hier wegen ihrer Mutter, nicht, um sie zurückzuhalten, weil er dachte, sie flöge nach Kabul. „Ja, ich mache mir Sorgen um sie. Du weißt ja, wie sie sein kann. Sie war noch nie in Europa, spricht kein Italienisch, höchstens ein wenig Latein, und soviel ich weiß, kennt sie dort auch keine Menschenseele.“
    „Und was hast du jetzt vor? Wie willst du sie suchen? Rom ist groß.“
    „Ehrlich gesagt, ich habe keinen blassen Schimmer. Obwohl ich glaube, dass es wenig nutzen wird, werde ich mich zunächst an die italienische Polizei wenden. Ich hoffe aber auch hier auf die Bank und die Kreditkartengesellschaft. Die haben sich bisher als sehr hilfreich erwiesen. Mutter hat noch am Flughafen in Rom Geld abgehoben. Das ist wenigstens eine Spur. Es bedeutet vor allem, dass sie sicher dort angekommen ist. Sobald sie das nächste Mal ihre Kreditkarte benutzt, werde ich informiert.“
    „Hier, ich habe etwas für dich, einen Namen und eine Telefonnummer in Rom!“ Richard drückte ihr einen Zettel in die Hand. „Ich habe heute früh mit meinem Bruder Fred gesprochen und er hat mir einen Pater Lukas von Stetten genannt. Fred hat vier Semester mit dem Mann in München studiert. Pater Lukas ist Jesuit und lebt seit einigen Monaten in Rom. Ich habe bereits mit ihm telefoniert.“
    „Heute Morgen? Aber das bedeutet, dass du den armen Mann mitten in der Nacht aus dem Bett geholt haben musst.“ Wie um sich zu vergewissern, sah Felicity auf ihre Uhr.
    Richard lächelte wieder sein unwiderstehliches Lächeln. „Bruder Fred sagte, das wäre schon in
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