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Honecker privat

Honecker privat

Titel: Honecker privat
Autoren: L Herzog
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ausgezeichneten Schülern aus Karl-Marx-Stadt für drei Tage in die Hauptstadt fahren. Wir besuchten den Pionierpark Wuhlheide und schließlich den Präsidenten. Bei Wilhelm Pieck bekamen wir Kakao und Kuchen und zum Abschied ein kleines Erinnerungsgeschenk.
    Ich will nicht behaupten, dass diese Reise und die Begegnung mit dem DDR-Staatsoberhaupt Schlüsselerlebnisse waren, welche mein Leben von Grund auf veränderten. Aber es wäre gelogen, erklärte ich, dass alles ohne Folgen geblieben ist. Berlin war nicht minder zerstört, doch irgendwie anders. Größer, lauter, lebhafter, bunter. Wir besuchten den Weihnachtsmarkt auf dem Schlossplatz, bestaunten die Karussells und Buden mit den vielen Angeboten, die für uns unerschwinglich waren, und fanden alles faszinierend. Das war, verglichen mit späteren Jahren, alles sehr bescheiden und einfach, aber nicht nur in den Kinderaugen erschien das gewaltig. Wir kamen eben aus der sächsischen Provinz.
    Die Berlin-Fahrt motivierte mich. Und noch mehr die vier Wochen im Zentralen Pionierlager »Lilo Herrmann« am Scharmützelsee bei Bad Saarow, die ich im Sommer 1956 erleben durfte. Das war eine wunderbare, einmalige Zeit mit vielen Erlebnissen.
    Die Pioniereisenbahn in der Wuhlheide animierte mich, der gleichen Einrichtung in Karl-Marx-Stadt beizutreten. Und ich gebe zu, dass ich damals ernsthaft mit dem Gedanken spielte, nach der Schule zur Bahn zu gehen und dort eine Lehre zu machen. Doch dieser Wunsch wurde bald von einem anderen überlagert, nachdem wir Chemieunterricht hatten. Ich wollte Abitur machen und Chemie studieren. Doch nun erwies sich das, was in den Jahren zuvor als Vorzug galt – nämlich das überdurchschnittliche Einkommen meines Vaters –, als spürbarer Nachteil. Damit war kein Stipendium drin. Andererseits war das Gehalt des Vaters nicht so riesig, dass damit sowohl sieben Mäuler gestopft (Wolfgang, unserer Ältester und der achte Esser, wurde bereits von der NVA versorgt) als auch mein Studium finanziert werden konnten. Ich verstand meine Eltern, wenngleich mir der Verzicht schwerfiel, als sie mir nahelegten, nach der 8. Klasse eine Lehre zu beginnen.
    Es gab einige Gründe, weshalb ich entschied, Kellner zu werden, obgleich ich noch nie ein Restaurant oder Hotel von innen gesehen hatte. Aber ich hatte gehört, dass es dort Trinkgeld gab, mit dem das keineswegs üppige Gehalt erheblich aufgestockt werden konnte. Und da ich daheim nur knappe Kassen und Schmalhans als Küchenmeister kannte, schien mir das eine erstrebenswerte Perspektive. Hinzu kam die Vorstellung, die von häufigen Kinobesuchen rührte, dass man es dort mit interessanten Menschen zu tun bekäme. Ich war von Natur aus neugierig und kontaktfreudig. Dort, so meinte ich, würde diese Neigung bedient werden.
    In der Stadt bildeten mehrere Einrichtungen Kellner aus. Ich bewarb mich 1958 im Hotel »Chemnitzer Hof«, das der HO gehörte, der staatlichen Handelsorganisation. In jener Zeit wurde das Schulsystem der DDR reformiert, mit der Einführung der einheitlichen Polytechnischen Oberschule (POS) wurde der Abschluss der zehnten Klasse Regel, der Abgang nach acht Schuljahren Ausnahme. Darum schlug der Personalchef des Hotels meinen Eltern vor, ich solle besser erst nach der 10. Klasse anklopfen. Man würde dann auch garantieren, dass die dreijährige Ausbildung für mich um ein halbes Jahr verkürzt würde.
    Diese Aussicht lockte meine Eltern, mich jedoch wenig. Darum bewarb ich mich bei der Mitropa, der 1916 gegründeten Mitteleuropäischen Schlaf- und Speisewagen Aktiengesellschaft, die in der DDR die Speisewagen und die Bahnhofsgaststätten der Deutschen Reichsbahn bewirtschaftete sowie die gastronomische Versorgung auf Schiffen der Weißen Flotte und der Eisenbahnfähren auf der Ostsee besorgte. Doch ehe ich dort genommen werden konnte, kam Post vom »Chemnitzer Hof«. Vier ihrer insgesamt sieben Lehrstellen waren leer geblieben, man würde sich freuen, mich am 1. September begrüßen zu können, hieß es in dem Schreiben.
    Die Berufskleidung – ein schwarzer Anzug, mehrere weiße Hemden, schwarze Fliege, Strümpfe und Schuhe – musste ich mitbringen. Meine Ausstattung riss ein großes Loch in unsere Haushaltskasse, doch dass meine Eltern diese Investition ohne Klagen tätigten, danke ich ihnen noch heute.
    Auf die vielen Erlebnisse und Begebenheiten während der Lehre will ich an dieser Stelle nicht eingehen.
    Nur soviel: Im Sommer 1961 endete mit der Schließung der Grenze in Berlin
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