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Honecker privat

Honecker privat

Titel: Honecker privat
Autoren: L Herzog
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der Wismut eingerichteten Kaufhaus Dinge zu erwerben, die es anderswo nicht gab – etwa Kinderkleidung, wofür spezielle Bezugscheine ausgehändigt wurden – wurde die Not ein wenig gelindert.
    Allerdings fand die Deutsche Reichsbahn den Verlust ihres Fahrdienstleiters nicht hinnehmbar, weshalb sie uns die Wohnung in Glauchau kündigte. Der Zufall in Gestalt eines freigewordenen Quartiers im Wohnhaus der in Chemnitz lebenden Mutter unserer Mutter sorgte dafür, dass wir ein Dach überm Kopf hatten. Im Herbst 1951 zogen wir in die Ruinenstadt, welche schon vor ihrer Zerstörung gewiss keine Schönheit war. Die Industriestadt mit fast vierhunderttausend Bewohnern galt als das sächsische Manchester, man sprach von »Rußchemnitz«, »Ruß-Chamtz« oder »Rußnitz«. Die britischen und US-Bomber nahmen die Stadt wiederholt ins Visier, weil dort neben anderen Rüstungsgütern Panzermotoren produziert wurden. Die heftigsten Luftangriffe erfolgten an den gleichen Tagen im Februar 1945, als Dresden in Flammen aufging. Und nicht nur dort fragt man sich noch heute, ob dies nötig oder gar angemessen war: Der Krieg war längst entschieden.
    Im März krachten erneut und letztmalig Bomben auf Chemnitz. Am Ende waren in der Altstadt und den inneren Vorstädten alle Kirchen und öffentlichen Gebäude zerstört, jede vierte Wohnung war weg. Von diesen Schlägen sollte sich die Stadt nie mehr erholen, sie hat bis heute kein Gesicht. Deshalb war ich froh, ihr Anfang der 60er Jahre entrinnen zu können. Ich wollte nie wieder im Leben dorthin zurück.
    Das ist, ich gebe es zu, ein hartes Urteil, wo doch gemeinhin die Zuneigung zum Ort der Kindheit und Jugend stets groß ist, egal, wie die Heimat ausschaut
    Und vermutlich werden die meisten Chemnitzer – das sind gegenwärtig noch fast eine Viertelmillion Menschen – nicht nur mangels Alternative oder aus Bequemlichkeit dort leben. Sie mögen ihre Stadt. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber ich wurde dort nie warm, auch nicht, als sie nach Karl Marx benannt war.
    Unser Haus stand in einem traditionellen Arbeiterviertel. Wir hatten vier Zimmer, eine Küche mit einem gußeisernen Ausguss nebst Wasserhahn, aus dem das Wasser nur tröpfelte, nie floss. Der Donnerbalken – er trug diese Bezeichnung mit Recht: es handelte sich um sechs Verschläge auf dem Etagenflur – war stets Quelle unerträglichen Gestanks. Mich ekelte jeder Gang dorthin. Gebadet wurde einmal in der Woche in einer Zinkwanne. Dazu wurde das Wasser auf dem kleinen Küchenherd erhitzt. Erst wusch sich der Vater darin, dann die Mutter, wobei streng darauf geachtet wurde, dass wir unsere Eltern nicht nackt sehen konnten. Danach ging es der Reihe und dem Alter nach. Sukzessive wurde warmes Wasser nachgefüllt, nachdem zuvor die gleiche Menge erkaltetes Badewasser aus der Wanne geschöpft worden war. Später, als ich größer war, zog ich den Besuch im Stadtbad vor.
    In der Küche wurde auch das Essen zubereitet und eingenommen. Es war einfach und entsprach sowohl den finanziellen Möglichkeiten der Familie als auch denen des lokalen Handels. Die Wohnräume waren sparsam möbliert, und erst Ende der 50er Jahre konnten wir uns ein Rundfunkgerät leisten, in unseren Augen ein Riesenkasten mit unendlich vielen Sendern auf der Skala.
    Fünf Jahre nach dem Krieg kam ich zur Schule. Was ein Problem war. Die meisten Chemnitzer Schulen waren zerstört oder in ihrer Tätigkeit sehr eingeschränkt, was zur Überfüllung der anderen führte. Ich zog in den ersten Jahren mit meinen Brüdern durch mehrere Einrichtungen, weshalb meine Erinnerung an jene Jahre nicht die beste und auch nur sehr oberflächlicher Natur ist.
    Trotzdem bereitete mir das Lernen viel Freude, und ich nahm alles mit, was uns geboten wurde. Ich besuchte sowohl den Religionsunterricht wie auch die Pioniernachmittage. Irgendwann jedoch blieb ich der Christenlehre fern, was den Religionslehrer veranlasste, bei meinen Eltern vorstellig zu werden. Diese jedoch überließen mir die Entscheidung und billigten es, als ich mich für die Pionierorganisation und gegen die Kirche entschied. Ich wurde schließlich Vorsitzender des Gruppenrats in der Klasse, gehörte dem Freundschaftsrat an – das war das Leitungsgremium an der Schule – und wurde schließlich sogar dessen Vorsitzender.
    Das kam nicht von ungefähr. Ich war, in aller Bescheidenheit, einer der besten Schülern an der Lessing-Schule. Im Dezember 1955, so um den Pioniergeburtstag herum, durfte ich mit anderen
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