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Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)

Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jochen Frech
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vor den schriftlichen Prüfungen gebeten, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich mit einer Mischung aus Wut und Schmerz durch das Examen zu quälen. Es war ihm sehr schwergefallen. Dennoch hatte er das Studium mit einer guten Note abgeschlossen.
    Ungläubig schüttelte er den Kopf, steckte das Bild in seine Hosentasche und verließ den Raum. Seine Kommilitonen hatten ihre Zimmer im Laufe des Vormittags verlassen oder waren bereits am Vorabend nach Hause gefahren. Gut gelaunt gab er an der Pforte seine Zimmerschlüssel ab und leistete die notwendigen Unterschriften. Anschließend ging er zu seinem Wagen, verstaute das Gepäck und blickte ein letztes Mal zurück.
    Vom Parkplatz aus wirkten die Gebäude der Hochschule wie eine moderne Festung oder der Hauptsitz eines Geheimdienstes.
    Moritz startete den Motor und fuhr in Richtung Autobahn. Im Radio kündigte der Moderator irgendeinen neuen Song von will.i.am an. Das Lied gefiel ihm nicht, und er schaltete das Radio aus. Später erinnerte er sich daran, wie er vor Jahren auf derselben Strecke häufig an den Bodensee gefahren war.
    Der Brief kam an einem Freitag.
    Vierundfünfzig Wochen nach der Katastrophe.
    Nachdem er ihn gelesen hatte, warf er ihn in den Mülleimer.
    In der Nacht stand er auf und kramte das Schreiben wieder heraus.
    Bis auf einen Kaffeefleck war es unversehrt.
    Drei Wochen später nahm er die Einladung an.
    Die Erinnerung verblasste. Er legte eine CD ein, die er sich selbst vor einer Woche nach der mündlichen Prüfung als Belohnung gegönnt hatte. Radiance, ein Solo-Klavierkonzert von Keith Jarrett. Nach ein paar Takten hörte er nur noch die Musik, den Klang des Flügels und das gelegentliche Seufzen des Interpreten während seines Spiels.
    Die Autobahn einundachtzig in Richtung Stuttgart war an diesem Freitagmittag beinahe leer.
    Manuela Jessen wartete auf den Pausengong. Sie freute sich auf das Wochenende. Nur noch acht Schultage bis zu den Sommerferien. Während die anderen Kinder bereits anfingen, heimlich ihre Schulranzen zu packen, schrieb sie sorgfältig die Hausaufgaben in ihr Heft. Ihre Tischnachbarin steckte ihr einen Papierschnipsel zu.
    Kommst du noch mit auf den Spielplatz?
    Schnell ließ sie den Zettel unter der Bank verschwinden und wandte sich flüsternd ihrer Freundin zu: »Nur kurz. Ich habe versprochen, pünktlich nach Hause zu kommen.« Dann klingelte es.
    »Nehmt alles mit nach Hause, vergesst nichts«, rief die Lehrerin, aber ihre Mahnung ging im Gekreische der Viertklässler unter.
    Das Klassenzimmer leerte sich schneller als bei einer Brandschutzübung.
    Draußen spielten sie Fangen. Manuela ließ sich ein paarmal abklatschen, dann machte sie sich alleine auf den Nachhauseweg.
    »Aber heute Mittag kommst du?«, rief ihre beste Freundin Annika ihr hinterher.
    »Na klar. Um drei.«
    »Bis dann.«
    »Tschüss.«
    Sie rannte bis zum Zebrastreifen und hielt den Arm nach vorne. Ein Lieferwagen donnerte vorbei.
    »Blödmann«, rief sie dem Fahrer hinterher und hüpfte anschließend von einem weißen Feld zum nächsten über die Fahrbahn. Dann rannte sie weiter. Kurz bevor sie zu Hause ankam, fiel ihr ein, dass sie ihre Trinkflasche auf dem Spielplatz vergessen hatte. Verärgert stampfte sie mit dem Fuß auf den Boden, drehte sich um und ging zurück. Auf einem kleinen Stellplatz in Sichtweite der Schule parkten einige Fahrzeuge. Als sie daran vorbeiging, hörte sie jemanden ihren Namen rufen.
    Plötzlich roch es verbrannt. Susanne Jessen warf die Fernsehzeitschrift auf den Boden, sprang von der Couch auf und humpelte so schnell sie konnte in die Küche. Die Behinderung war das Ergebnis der letzten Auseinandersetzung mit ihrem Exmann. Er hatte ihr mit einem Bügeleisen den Mittelfuß zertrümmert. D ie Ärzte hatten ihr prophezeit, dass das Gelenk nie wieder voll funktionsfähig sein würde. Hastig nahm sie den Topf mit dem Milchreis von der Herdplatte und drehte das Gas ab.
    »Mist«, fluchte sie, als sie den Deckel hob und ihr der Geruch von verbrannter Milch in die Nase stieg. Sie öffnete das Fenster. Es war bereits nach eins. Manuela müsste längst zu Hause sein, dachte sie, während sie in ihr Schlafzimmer ging und aus dem Fenster sah. Von dort aus konnte sie beinahe den gesamten Schulweg ihrer zehnjährigen Tochter überblicken. Nur dreihundert Meter lagen zwischen dem Mehrfamilienhaus und der vor wenigen Jahren neu gebauten Grundschule am Ortsrand von Süßen. Die Gegend um den
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