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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder
Autoren: Rebecca Gablé
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Nächster. Den hatten sie Jeremy genannt, erklärte Godric, aber sie wüssten nicht, wie er hieße, denn er sei taubstumm. Dann kam ein dicklicher junger Mann mit einem kugelrunden, zu großen Kopf und schräg stehenden Augen, der Simon keines Blickes würdigte, sondern auf ungelenken Beinen zu Losian hastete und ihn innig umarmte.
    Losian drehte den Kopf zur Seite und presste ungeduldig die Lippen zusammen, ließ den stürmischen Liebesbeweis aber ein paar Herzschläge lang über sich ergehen, ehe er sich sanft befreite. »Schon gut, Oswald. Immer mit der Ruhe.«
    »Ich hab was für dich«, sagte Oswald strahlend und streckte ihm die rundliche, eigentümlich kleine Hand entgegen. Er sprach seltsam, fand Simon. Nuschelnd und ein bisschen undeutlich.
    Losian nahm den Gegenstand, den der junge Mann ihm hinhielt, und betrachtete ihn eingehend. Es war ein Penny, schlammverschmiert und angelaufen, aber hier und da funkelte Silber. »Wo hast du ihn her?«, fragte Losian verblüfft.
    »Wehrgang«, erklärte Oswald stolz. »Eingeklemmt zwischen zwei Hölzern.«
    Holzbohlen, nahm Simon an.
    Losian betrachtete den Fund mit einem verwunderten Kopfschütteln und hielt ihn Oswald dann wieder hin. »Behalte ihn. Du kannst mir nicht immer alles schenken, was du findest. Wenn du ihn polierst, wird er ganz blank.«
    Aber Oswald schüttelte entschieden den Kopf. »Für dich«, beharrte er. »Für meinen allerallerbesten Freund.«
    »Na schön.« Losian steckte die Münze in den abgewetzten Lederbeutel, den er am Gürtel trug. »Ich heb ihn für dich auf.«
    »Du kannst ihm ja ein Bier ausgeben, wenn wir das nächste Mal ins Wirtshaus kommen«, schlug einer der Zwillinge vor. Godric, rief Simon sich in Erinnerung. Der Linke der beiden war Godric.
    »Diese Leprakranken müssen reiche Leute gewesen sein, wenn sie ihr Geld auf dem Wehrgang verstreut haben«, meinte Wulfric und begann, Grütze in die Schalen zu löffeln.
    »Leprakranke?«, fragte Simon.
    Die Zwillinge nickten. »Die waren vor uns hier. Aber dann haben die Brüder von St. Pancras drüben auf dem Festland für die Leprakranken ein Hospital gebaut. St. Giles heißt es. Sehr hübsch, hab ich gehört.« Er sagte es ohne erkennbare Bitterkeit.
    Doch Simon hatte noch nicht gelernt, sich mit seinem Schicksal abzufinden. »Und stattdessen sperren sie uns nun in diese trostlose Ruine? Sind wir noch weniger wert als Aussätzige?«
    »Nein. Aber die heiligen Brüder von St. Pancras betrachten uns mit anderen Augen«, erklärte King Edmund, der gerade eingetreten war und Simons Frage gehört hatte. »Danke, mein Sohn«, sagte er zu Wulfric, als dieser ihm eine dampfende Schale reichte, dann wandte King Edmund sich wieder an den Neuzugang. Er lächelte milde – seinen Groll hatte er offenbar vergessen, wie Losian vorhergesagt hatte. »Gott schlägt die Menschen mit Aussatz, um sie für ihre Sünden zu strafen. Aber jeder Mensch ist sündig, das wissen sogar die Brüder von St. Pancras. Es kann also jeden von uns treffen, und darum sind wir gehalten, den Aussätzigen zu helfen und ihnen Almosen zu geben. Damit helfen wir uns sozusagen selbst, verstehst du? Es ist ein Dienst an der eigenen Seele. Wir hier hingegen«, und er vollführte eine Geste, die das ganze Küchenhaus umschloss, »wir sind die hoffnungslosen Fälle. Sie glauben, dass Gott uns nicht bestraft, sondern verstoßen hat. Und so erscheint es ihnen nur vernünftig, seinem Beispiel zu folgen.«
    Simon starrte ihn an. War dieser gebildete Gottesmann wirklich derselbe, der ihn vorhin wie eine Furie angefallen hatte?
    »Griff kommt nicht«, berichtete Wulfstan, ein buckliger, zwergwüchsiger Mann, der Simon bestenfalls bis an die Hüfte reichte. »Er kann nicht aufstehen. Ich hab gesagt, ich bring ihm was und füttere ihn, aber er will nichts mehr.«
    »Ich werde nach dem Essen nach ihm sehen«, versprach King Edmund.
    »Griff hat die Schwindsucht«, erklärte Godric Simon. »Ich denke, er hat’s bald überstanden.«
    »Kann ich seine Schuhe haben, wenn er stirbt?«, fragte Luke. »Und seine Decke?«
    »Der Erste, der eine Decke braucht, ist Simon«, entgegnete Losian.
    »Aber der hat diesen feinen, dicken Mantel«, protestierte Luke. »Ich brauch die Decke viel dringender.« Sein fröhliches, runzeliges Bauerngesicht verzerrte sich und nahm eine bedenkliche purpurne Tönung an. Mit einem Mal sah er aus wie ein trotziges Kind, das jeden Moment in lautes Geheul auszubrechen droht. »Ich will auch endlich mal was bekommen! Du
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