Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
Zähne zusammenbiss. »Ich weiß, dass er sich geschämt hat, mich zu verstoßen«, fuhr der Junge schließlich fort. »Aber noch mehr schämte er sich vor seinen Freunden und seiner Ritterschaft, so etwas wie mich im Haus zu haben. Vielleicht ist es bei mir schlimmer als bei seinem Kaplan – keine Ahnung. Er schickte mich jedenfalls nach York zum Prior des Klosters, der ein großer Heiler ist. Aber natürlich konnte der auch nichts machen. Er hat sich Mühe gegeben, mir schonend beizubringen, dass ich nicht krank, sondern besessen bin.«
    Losian nickte. Den Rest konnte er sich mühelos denken. »Das war der Moment, da du dich hättest davonmachen sollen.«
    »Ja, das wollte ich auch. Ich wollte zurück nach Hause. Das Gut gehört ja jetzt mir. Aber die Mönche ließen mich nicht wieder fort. Sie … Sie haben mich eingesperrt und schließlich hierhergebracht.« Er wies vage auf die Bretterwand in die Richtung, wo das Festland und das Kloster lagen.
    Losian setzte sich Simon gegenüber auf seine Bettstatt und lehnte sich an die Wand. »Zu den Meistern der Teufelsaustreibung.«
    Simon sah ihm forschend ins Gesicht, fragte aber nicht.
    Losian sagte es ihm trotzdem. »Es gibt einen Dämon namens Dantalion, der die Erinnerung befällt und auffrisst. Sie haben festgestellt, dass er von mir Besitz ergriffen hat, und nichts unversucht gelassen, ihn mir auszutreiben.« Er sagte es spöttisch. Das schien der sicherste Weg, um zu vermeiden, dass man bei der Erinnerung anfing zu schreien.
    »Immerhin hast du’s überlebt«, bemerkte der Junge beklommen.
    »So wie du«, gab Losian zurück.
    Simon nickte und schaute sich rastlos um, als suche er die rohen Holzwände nach einem unverfänglichen Thema ab. »Wie viele Menschen leben hier?«, fragte er schließlich.
    »Siebzehn, dich mit eingerechnet.«
    »Nur Männer?«
    »Männer und Knaben, ja.«
    »Haben sie für die verrückten Frauen eine eigene Insel?«, fragte Simon bitter. »Damit die Verwahrung der Narren und Missgeburten mit Anstand und Sitte vonstattengeht und sie sich bloß nicht vermehren?«
    Losian schüttelte den Kopf. Ein halbes Jahr nach ihm hatten die Brüder einmal eine Frau hergebracht; ein gänzlich verwirrtes, verstörtes Geschöpf, das seine Umwelt überhaupt nicht wahrzunehmen schien. Sie hatten ihren Namen nie erfahren. Niemand hier hatte ihr etwas getan, und King Edmund hatte sie wie eine Königin behandelt. Aber in der fünften Nacht hatte sie sich von den Palisaden gestürzt. »Ich glaube, es liegt daran, dass es sich bei Frauen leichter geheim halten lässt«, sagte er. »Ihre Familien schützen sie besser, verstecken sie im Haus oder in einem abgelegenen Kloster. Es ist … einfach etwas anderes. Eine zurückgebliebene Tochter ist ein Schicksalsschlag, aber mit ein bisschen Glück und wenn es nicht gar zu schlimm ist, kann man sie immer noch verheiraten, nicht wahr. Ein zurückgebliebener Sohn hingegen ist eine Schande.«
    »Und … und sind sie alle verrückt hier? So wie King Edmund?«
    »Nein, nein. Nur drei sind wirklich verrückt. Vier, wenn du mich dazurechnen möchtest, wofür allerhand spricht. Fünf sind einfach nur schwachsinnig. Der Rest sind Krüppel.«
    »Krüppel ?« , wiederholte Simon ungläubig. »Aber warum in aller Welt sperren sie die hier ein?«
    »Weil der ehrwürdige Abt von St. Pancras dort drüben glaubt, dass sie nicht nach Gottes Ebenbild erschaffen sind. Deswegen sei es anderen Menschen nicht zuzumuten, sie in ihrer Mitte dulden zu müssen.«
    »Genau wie uns, die besessen sind«, fügte der Junge hinzu.
    »Oder die Schwachsinnigen, von denen er sagt, sie hätten keine Seele.«
    »Und … was glaubst du?«, fragte Simon.
    Losian hatte in den vergangenen zweieinhalb Jahren kaum über ein anderes Rätsel mehr nachgegrübelt. Aber er war immer noch zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Es gab Tage und Nächte, da er sich in seinem eigenen Körper so fremd und deplatziert fühlte, dass er sicher war, ihn mit einer unbekannten Präsenz zu teilen. Vielleicht war es ein Dämon, wie die Brüder sagten. An anderen Tagen erschien ihm die Behauptung vollkommen absurd. »Frag King Edmund«, schlug er vor. » Er ist der Gelehrte.«
    Simon schnaubte. »Das wären sicher hochinteressante Ausführungen …«
    »Das sind sie in der Tat. Abgesehen von der Kleinigkeit, dass er sich für einen toten Märtyrerkönig hält, scheint sein Verstand vollkommen in Ordnung. Er spricht die Messe aus dem Gedächtnis und kann die Bibel praktisch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher