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Hinter der Tür

Hinter der Tür

Titel: Hinter der Tür
Autoren: Henry Slesar
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nachmachten, reizte sie unweigerlich zum Lachen. Vanner wollte das Tier von der Couch scheuchen, aber der Hund gab sich widerspenstig.
    »Komm, Cassie. Jetzt reicht‘s. Runter mit dir!«
    »Es gefällt ihr«, sagte Gail.
    »Klar. Es ist sehr gemütlich da oben. Aber die Couch ist für Menschen reserviert.« Er sah Gail vielsagend an. »Für meine Patienten«, fuhr er fort.
    Gail registrierte seinen Blick und stand auf. »Ich weiß, was Sie sagen wollen, Doktor.«
    Als sie sich der Couch näherte, sprang der Hund zu Boden. »Ich habe das Gefühl, ich bin hereingelegt worden«, sagte sie.
    »Allerdings«, erwiderte Vanner leichthin. »Aber wenigstens haben wir diese Hürde nun übersprungen, nicht wahr?«
    Als sie unter dem Vordach des Apartmenthauses hervortrat, blickte sie in beide Richtungen die fast verlassene Straße entlang und fragte sich, warum die Park Avenue so wenige Fußgänger anzog. Dann dachte sie: Es sind die Läden, oder das Fehlen von Läden. Hier ist kein Schaufensterbummel möglich. Sie konzentrierte sich entschlossen auf die Flaniergewohnheiten der New Yorker und andere unwichtige Themen; dabei war ihr bewußt, daß sie es vermied, sich mit den fünfzig Minuten zu befassen, die sie eben in Dr. Joel Vanners Büro verbracht hatte; besonders die letzten dreißig Minuten, als sie zum erstenmal seit Jahren den Namen der Mead-Klinik hatte aussprechen müssen.
    Vielleicht war es der Gedanke an die Kindheit, der plötzlich den Hunger nach etwas Süßem in ihr weckte. Sie ging in Richtung Lexington Avenue und hielt krampfhaft Ausschau nach dem Schild eines Cafes. Wieder verhinderte ihre Konzentration, daß sie den Verfolger bemerkte. Aber er war ihr auf den Fersen.
    Sie entschied sich für eine Cafeteria, in der sie sich in aller Ruhe etwas aussuchen und sehen konnte, was sie bekam. Seit ihrer Kindheit hatte Gail ein Gericht sehen müssen, damit ihr schwacher Appetit… Wieder unterdrückte sie jeden Gedanken an die Kindheit; für heute reichte es ihr.
    Am Tresen wählte sie ein Stück Schokoladenkuchen mit sieben Schichten aus, nahm eine Tasse Kaffee mit und setzte sich an einen kleinen Tisch an der Wand. Das Lokal war ziemlich schwach besucht. Als der hagere junge Mann etwas verloren mit seinem Tablett zwischen den leeren Tischen herumwanderte, vermutete sie sofort, daß er sich einen Tisch in ihrer Nähe aussuchen würde. Aber sie irrte sich – er wählte ihren Tisch.
    »Haben Sie etwas dagegen?« Er lächelte und stellte sein Tablett ab. Es enthielt eine Tasse schwarzen Kaffee und ein halbmondförmiges Kuchenstück.
    Sie musterte ihn von oben bis unten – wobei ihr Blick zuerst auf die Gucci-Schuhe fiel.
    »Verschwinden Sie«, sagte sie.
    »Öffentliches Lokal«, erwiderte er. »Man soll teilen, wo man kann, wissen Sie.«
    »Es gibt hier zweihundert leere Tische. Verschwinden Sie, oder ich rufe den Geschäftsführer.«
    »Ich habe keine Lust, allein zu essen. Ich hasse es, allein zu essen. Deshalb gehe ich in Cafeterias, damit ich unter Menschen bin.«
    »Wenn ich‘s mir genau überlege«, sagte Gail eisig, »sollte ich sogar die Polizei rufen. Ich sage den Beamten, daß Sie mich schon den ganzen Tag verfolgen.«
    »Gut, rufen Sie die Polizei«, sagte er. »Ich bin die Weglauferei sowieso leid. Da möchte ich‘s lieber gleich mit den Beamten ausschießen.«
    Er setzte sich, und Gail sprang prompt auf und griff nach ihrem Tablett.
    »Bitte, Miss Gunnerson!« sagte er. »Gehen Sie nicht. Setzen Sie sich, oder ich bringe mich um.«
    Er nahm das Hörnchen vom Teller und zielte damit auf seine Schläfe.
    »Woher wissen Sie meinen Namen?«
    »Ich weiß sehr viel über Sie. Ihr Vorname ist Gail. Sie nehmen Zeichenunterricht in der Kunst-Liga. Sie wohnen im größten Haus an der Schuyler Avenue. Und Sie können nachts nicht besonders gut schlafen. Vielleicht liegt das an dem vielen Schokoladenkuchen, den Sie essen.«
    »Und wer sind Sie? Woher wissen Sie das alles?«
    Ernst: »Miss Gunnerson, haben Sie schon einmal vom FBI gehört?«
    »Natürlich.«
    »Ich auch. Großartiger Laden, was? Hätte nichts dagegen, eines Tages mal für die Leute zu arbeiten.«
    »Wenn das ein Witz sein soll…«
    »Kein besonders guter, ich weiß.«
    »Sie haben mich verfolgt. Halten Sie das vielleicht auch für einen Witz?«
    »Nein«, sagte er. »Ich halte das für meine Arbeit. Ich heiße übrigens Steve Tyner.« Er machte eine erwartungsvolle Pause. »›Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Tyner‹«, sagte er dann.
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