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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Autoren: Joanne Harris
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vertreten die Werte des Fortschritts und plustern sich überhaupt unheimlich auf. Traditionsgemäß hat Lansquenet keinen Bürgermeister, aber wenn wir einen hätten, dann wäre Caro für diesen Posten genau die richtige Person. Sie leitet sowieso schon die Nachbarschaftswache, die Vereinigung christlicher Frauen, den Buchclub, die Aktion zur Säuberung des Flussufers und den Elternverein, eine Gruppe, die dafür sorgen soll, dass unsere Kinder vor Pädophilen geschützt werden.
    Und die Kirche? Manche Leute würden behaupten, Caro leitet auch die Kirche.
    Wenn Sie mir vor zehn Jahren gesagt hätten, dass ich eines Tages mit den Rebellen und Verweigerern sympathisieren würde, dann hätte ich Ihnen wahrscheinlich ins Gesicht gelacht, père. Aber ich habe mich verändert. Mir sind inzwischen andere Dinge wichtig. Als ich jünger war, galt für mich nur das Ordnungsprinzip. Die chaotische, undisziplinierte Lebensweise vieler meiner Schafe war für mich ein Quell ständigen Ärgernisses. Inzwischen habe ich gelernt, diese Schafe besser zu verstehen – obwohl ich noch lange nicht mit allem einverstanden bin. Wenn ich mich mit ihren Problemen beschäftige, empfinde ich für sie … nun ja, nicht direkt Zuneigung, aber doch etwas, was in diese Richtung geht. Das hat mich nicht unbedingt zu einem besseren Menschen gemacht. Im Lauf der Jahre habe ich allerdings begriffen, dass es besser ist, sich ein bisschen zu verbiegen, als zerbrochen zu werden. Das hat Vianne Rocher mir beigebracht, und ich habe mich zwar nie so gefreut, dass jemand Lansquenet verlässt, wie in ihrem Fall – ich war so froh, als sie und ihre Tochter weitergezogen sind –, aber ich weiß trotzdem, was ich ihr zu verdanken habe. Ich weiß es sogar sehr gut.
    Das ist auch der Grund, weshalb ich mir am Ende dieser Festlichkeiten – irgendetwas liegt in der Luft, es riecht nach Rauch – fast vorstellen kann, dass Vianne Rocher nach Lansquenet zurückkehrt. Das würde ihr ähnlich sehen, wissen Sie, am Vorabend eines Krieges hierherzukommen. Denn ein Krieg steht unmittelbar bevor, so viel ist sicher. Man kann es riechen, dass demnächst ein Sturm losbricht.
    Ich wüsste gern, ob Vianne Rocher das auch merken würde. Und ist es unbegründet, dass ich mir Hoffnungen mache, sie könnte dieses Mal für mich Partei ergreifen, statt sich dem Feind anzuschließen?

6

    Sonntag, 15. August
    Ich kehre nicht oft an die Orte zurück, von denen ich weggegangen bin. Ich habe keine Lust, mich mit den ganzen Veränderungen auseinanderzusetzen: geschlossene Cafés, überwucherte Wege, Freunde, die fortgezogen sind oder sich etwas zu dauerhaft in Friedhöfen und Altenheimen eingenistet haben.
    Manche Orte verändern sich so grundlegend, dass ich kaum glauben kann, dort schon einmal gewesen zu sein. In gewisser Weise ist das die beste Variante: Dann bricht mir zumindest nicht das Herz, weil das mir einst so Vertraute nur noch ein Bild in den Spiegeln ist, die wir mit unserem Weggehen zertrümmert haben. Manche verändern sich nur ein bisschen, was unter Umständen schwerer zu ertragen ist. Aber bisher bin ich noch nie an einen Ort zurückgekehrt, der sich überhaupt nicht verändert hat.
    Jedenfalls nicht bis heute.
    Wir sind mit dem Festtagswind gekommen. Damals, vor achteinhalb langen Jahren, kamen wir mit einem Wind, der so viel zu versprechen schien, es war ein verrückter Wind, voller Konfetti und erfüllt von Rauch und dem Duft der Pfannkuchen, die am Straßenrand zubereitet wurden. Der Pfannkuchenstand ist noch da, genauso wie die Leute, die dichtgedrängt am Straßenrand stehen, und der blumengeschmückte Wagen mit seiner kunterbunten Mannschaft aus Feen, Wölfen und Hexen. Damals habe ich mir genau an diesem Stand eine Galette gekauft. Ich kaufe mir heute wieder eine, zur Erinnerung. Immer noch extrem lecker, gerade richtig angebräunt, und der Geschmack – Butter, Salz, Roggen – hilft, das Gedächtnis anzukurbeln.
    Damals stand Anouk neben mir, eine Plastiktröte in der Hand. Jetzt steht sie wieder da, mit großen Augen und hellwach, und Rosette ist das Kind mit der Tröte. Paraaaaa! Diesmal ist die Tröte rot, nicht gelb, und es liegt kein Hauch von Frost in der Luft, doch die Geräusche, die Stimmen und Gerüche sind die gleichen, und die Leute in ihren Sommerkleidern – weiße Hemden und Strohhüte statt Mänteln und Mützen, wer will in dieser Hitze etwas Schwarzes anziehen? –, die Leute sind auch fast dieselben, vor allem die Kinder, die hinter dem
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