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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Autoren: Joanne Harris
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musst, so wie du den Löffel in deiner heißen Schokolade abgeleckt hast, genüsslich, gierig, wie ein Kind. Du hast immer so viel weiter geblickt als ich – und mich gezwungen, ebenfalls genau hinzuschauen, ob ich wollte oder nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich lesen mag, was in diesem Brief steht, der von jenseits des Grabes kommt, aber du weißt natürlich, dass ich ihn trotzdem lesen werde.
    Liebe Vianne, steht da. Ich kann ihre Stimme hören. Trocken wie Kakaostaub. Und süß. Ich erinnere mich an das erste Telefon, das es nach Lansquenet geschafft hatte. Uiii! Was gab das für einen Aufstand! Jeder wollte es ausprobieren. Der Bischof, in dessen Haus sich der Apparat befand, wurde mit Geschenken und Bestechungsgeld nur so überschüttet. Tja, wenn das Telefon für die Leute hier schon ein Wunder war, wie würden sie dann erst reagieren, wenn sie wüssten, dass ich aus dem Reich der Toten mit Dir rede. Und falls Du Dir diese Frage schon mal gestellt hast – jawohl, es gibt Pralinen im Paradies. Sag Monsieur le Curé, dass ich es Dir erzählt habe. Vielleicht kann er ja inzwischen einen Spaß verkraften.
    Ich hielt einen Augenblick inne. Und setzte mich auf einen der Kombüsenhocker.
    »Alles okay?«, fragte Roux.
    Ich nickte und las weiter. Acht Jahre. Da kann viel passieren, stimmt’s? Kleine Mädchen werden erwachsen. Frühling, Sommer, Herbst und Winter lösen sich ab, immer wieder. Die Menschen ziehen weiter. Mein Enkel – einundzwanzig! Ein gutes Alter, so viel weiß ich noch. Und Du, Vianne, bist Du weitergezogen? Ich denke, ja. Du warst noch nicht bereit, Dich niederzulassen. Was nicht bedeutet, dass Du nicht doch eines Tages irgendwo bleibst – halte eine Katze im Haus, und sie hat nur einen Wunsch: Sie will nach draußen. Sperr sie aus, und sie miaut und möchte unbedingt wieder rein. Die Menschen sind da ganz ähnlich. Das wirst Du merken, falls Du je hierher zurückkommst. »Aber warum sollte ich zurückkommen?«, höre ich Dich fragen. Na ja, ich behaupte nicht, dass ich die Zukunft vorhersehen kann. Jedenfalls nicht präzise. Aber Du hast viel Gutes für Lansquenet bewirkt, auch wenn es nicht alle Leute damals so gesehen haben. Doch die Zeiten ändern sich, das wissen wir alle. Und eins steht fest: Früher oder später braucht Lansquenet Dich wieder. Ich kann mich allerdings nicht darauf verlassen, dass der gute curé, unser starrsinniger Priester, Dir Bescheid sagt, wenn es so weit ist. Also tu mir einen letzten Gefallen: Fahr zurück nach Lansquenet. Nimm die Kinder mit. Nimm Roux mit, wenn er da ist. Leg Blumen aufs Grab einer alten Dame. Keine aus Narcisses Laden, sondern richtige Blumen, von der Wiese. Besuch meinen Enkel. Trink eine Tasse heiße Schokolade.
    Ach, noch eins, Vianne. Neben meinem Haus steht ein Pfirsichbaum. Wenn Du im Sommer kommst, müssten die Früchte reif sein. Pflück sie und gib den Kindern ein paar davon. Es würde mich ärgern, wenn die Vögel alles abkriegen. Und denk daran: Alles kehrt wieder. Der Fluss bringt am Ende alles zurück.
    Viele liebe Grüße, wie immer,
    Armande
    Lange starrte ich wortlos auf die Seite und horchte dem Klang ihrer Stimme nach. Wie oft habe ich sie schon in meinen Träumen gehört und bin am Rand des Schlafs entlangbalanciert, ihr trockenes Lachen in den Ohren, während ihr Duft – Lavendel, Schokolade, alte Bücher – die Luft vergoldete. Es heißt immer, der Mensch ist nicht wirklich tot, solange sich jemand an ihn erinnert. Vielleicht erinnere ich mich deswegen so lebhaft an Armande, an ihre brombeerschwarzen Augen, ihre Chuzpe, ihre knallroten Unterröcke, die unter der schwarzen Trauerkleidung hervorblitzten.
    Und das war auch der Grund, weshalb ich es nicht schaffte, ihr diesen Wunsch abzuschlagen, obwohl ich das eigentlich wollte. Ich hatte mir nämlich geschworen, nie wieder nach Lansquenet zurückzukehren. An diesen Ort, den wir mehr geliebt haben als alle anderen Orte, weshalb wir ja auch fast geblieben wären, hätte uns nicht der Wind vertrieben und uns gezwungen, so vieles zurückzulassen.
    Und nun weht wieder der Wind. Er weht von jenseits des Grabes und bringt einen verlockenden Pfirsichduft mit sich –
    Nimm die Kinder mit.
    Ja, warum eigentlich nicht?
    Sagen wir einfach, wir verreisen. Raus aus der Großstadt. Rosette hat dort viel Platz, um zu spielen, und Anouk sieht ihre alten Freunde wieder. Es stimmt, ich vermisse Lansquenet, die graubraunen Häuser, die engen Sträßchen, die hinab zum Tannes eilen, die
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