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Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern

Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern

Titel: Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern
Autoren: Jennifer Benkau
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das Haus verließ. Als sie sich bei diesem Gedanken ertappte, schoss ihr vor Wut und Scham heiße Hitze ins Gesicht. Jetzt wurde sie wirklich schon paranoid. Das machten Corbins und Marlons permanente Warnungen.
    »Ich muss dann jetzt los«, sagte sie und rang den Impuls nieder, noch einmal zu ihrer Mutter zu laufen und ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken. So, wie ihr Gewissen sie stach, würde ihre Mutter ihr etwas anmerken, und dann wäre sie zu weiteren Lügen gezwungen.
    »Pass auf dich auf!«, rief ihre Mutter ihr nach. Anna zog die Tür zu. Die Worte begleiteten sie, schwebten um sie herum wie aufdringliche Insekten. Ihre Mutter sagte das immer, wenn Anna zum Training ging. Sie meinte damit, dass Anna auf ihre Bänder und Sehnen achtgeben und sich vor den Sprüngen und dem Tanz auf den Spitzenschuhen gut warm machen sollte. Doch heute klang es irgendwie anders.
    Nur eine einzige Buslinie führte aus der Stadt heraus ins Randgebiet, in dem Corbins Haus lag. Sah Anna aus dem Fenster, bemerkte sie, wie die Häuser grauer wurden, die liebevollen Bepflanzungen mehr und mehr dem Unkraut wichen und die lachenden Kinder weniger wurden. In diesen Vierteln musste man sich schon vor einem Pulk sieben- bis zehnjähriger Kinder in Acht nehmen. Frust und Langeweile machte Menschen zu äußerst beängstigenden Wesen.
    Vielleicht , überlegte Anna, ist das ja der Grund, warum es mir gar keine Angst macht, dass Corbin anders ist. Kein Mensch. Kein richtiger …
    Dass ihr die Blicke von zwei Männern, die ein paar Reihen hinter ihr saßen, unbehaglich waren, schien zunächst nicht ungewöhnlich. So war es jedes Mal. Wenn jemand sie ansah, fühlte sie sich immer sofort angestarrt und beobachtet, und die Tatsache, dass man ihr anmerkte, dass sie aus einem Viertel kam, wo jedes Haus ohne Pool im Garten als einfach und ein Reihenhaus als beinah ärmlich galt, führte dazu, dass man ihr hier oft nachblickte.
    Mulmig wurde Anna erst, als sie aus dem Bus stieg und wahrnahm, dass sich auch die Männer im letzten Moment erhoben und nach draußen auf die Straße sprangen, ehe sich die Türen mit dem vertrauten Zischen wieder schlossen und der Bus anfuhr. Anna bekam eine Gänsehaut, denn die beiden Männer folgten ihr. Sie ging an einer alten Fabrik vorbei, in denen seit Jahren nur noch in wenigen Teilbereichen gearbeitet wurde. Vielleicht waren das Angestellte? Es folgten eine Spedition und dann ein paar leer stehende Industriegebäude. Backstein an Backstein. Kastenbau an Kastenbau. Die Männer folgten ihr noch immer im Abstand von etwa zehn Metern, den sie auch einhielten, wenn Anna schneller oder langsamer ging. Ihr Nacken wurde feucht, die Haare klebten an ihrer Haut. Eiskalt dagegen waren ihre Hände. Anna ließ die Hand in ihre kleine Umhängetasche gleiten. Ihre Finger stießen erst an das Pfefferspray und dann gegen den Kunststoff ihres Handys. Als sie es herausziehen wollte, räusperte sich einer der Männer auffällig hinter ihr. Anna nahm die Warnung ernst, ließ das Handy, wo es war, und wechselte die Straßenseite. Dabei sah sie sich hastig nach Autos oder Passanten um. Nichts. Seit man die meisten Fabriken hier geschlossen hatte, fuhren nur noch wenige Autos durch dieses Gebiet. Die Schlaglöcher auf der Fahrbahn waren knöcheltief. Sie erreichte den Bordstein und warf einen Blick über die Schulter. Auch die Männer gingen über die Straße. Ganz kurz sah sie in ihre Gesichter. Ernst und verschlossen wirkten diese, als ginge es ihnen darum, einen lästigen und harten Job zu erledigen. Der wohl mit ihr zu tun hatte, wie Anna immer stärker vermutete.
    Als ihr Handy seine unaufdringliche Melodie klingelte, fuhr Anna der Schreck wie ein Stromschlag durch die Muskeln. Ihre Hände zitterten und beim Versuch, das Telefon aus der Tasche zu nehmen und den richtigen Knopf zu drücken, geriet sie fast ins Stolpern. Kamen die Kerle näher?
    »Corbin?«
    »Was ist los?«
    »Ich weiß nicht«, hauchte sie. »Da sind Männer. Sie verfolgen mich.« Anna schluckte hart. Machte sie sich vielleicht nur verrückt? »Glaube ich.«
    »Das Buch.« Corbin klang, als wäre ihm die Bemerkung ungewollt herausgerutscht. Sofort riss er sich zusammen, doch in Annas Kopf rutschten die Zahnräder ineinander. Der Jules-Vernes-Roman! Seinetwegen hatte sie ihre Adresse in der Bücherei hinterlassen. Sie war so dumm gewesen, so unfassbar dumm.
    »Wir kommen, Anna, wo bist du?«
    Sie wagte nur zu flüstern. »An der Bushaltestelle ausgestiegen. Sie sind
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