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Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern

Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern

Titel: Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern
Autoren: Jennifer Benkau
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letztlich davon überzeugen, dass sie nichts weiter war als ein Mädchen, das seinen Bruder liebte – etwas, das Marlon selbst offenbar für vollkommen undenkbar hielt. »Er liebt nur die Comicfiguren, die er zeichnet«, hatte Corbin einmal gesagt. »Denen kann er in den Mund legen, was immer er will, und wenn es ihm nicht mehr passt, radiert er es wieder aus. Mein Bruder ist nicht dazu bestimmt, mit Menschen zusammenzuleben, die aus mehr als zwei Dimensionen bestehen.«
    »Sehr tiefsinnig«, hatte Anna ironisch erwidert, aber Corbins Reaktion darauf war nur ein Lächeln und ein leises »Wer weiß« gewesen.
    »Anna hat das Buch gefunden«, sagte Corbin nun und Marlons Blick schoss so plötzlich zu Annas Gesicht, dass sie den Kopf abwenden musste, so ungewohnt fühlte sich das an. Die Brüder sahen sich erstaunlich ähnlich, doch während Corbins Augen immerzu von einer dunklen Wärme waren, wirkten Marlons hart und kalt und irgendwie … gleichgültig. Er erwiderte nichts; er sprach ohnehin selten. Vermutlich hatte er dadurch gelernt, so vielsagend zu schweigen, dass Anna nun das Gefühl bekam, sich rechtfertigen zu müssen, obwohl niemand sie kritisiert hatte.
    »Es ist nicht so, dass ich lange suchen musste.«
    »Dann frage ich mich, warum wir es nicht gefunden haben«, überlegte Corbin laut.
    »Ich hatte bloß Glück. Es war Zufall.« Sie wollte nicht, dass die Brüder erfuhren, wie viel Mühe es sie wirklich gekostet hatte, wie lange sie im Internet recherchiert und wie viele Telefonate sie geführt hatte. Rasch wandte sie sich ab und wühlte in ihrer Tasche nach dem Buch. Ein dünner Schal, der MP3-Player, ihre Kamera sowie eine Wasserflasche lagen darüber.
    Marlons Blicke irritierten sie, brachten sie dazu, unnötig lange in ihren Sachen zu graben. Er sah sie an, als hätte sie ein unvorstellbares Verbrechen begangen.
    Auch Corbin schien diese Blicke zu bemerken. »Ist etwas, Marlon?«
    Es kam keine Antwort, aber irgendetwas, was Anna übersah, schien Marlon mit Gestik und Mimik zu erwidern, denn Corbin seufzte schwer und erklärte Anna dann: »Er sorgt sich, dass du aufgefallen sein könntest.«
    »Ich weiß, dass ihr Angst habt«, gab Anna gereizt zurück. Was sie nicht mit Gewissheit wusste, war, ob diese Furcht gerechtfertigt war oder bloß Paranoia. Wenn dem so war, dann wurde sie auch langsam paranoid. »Niemand weiß, dass ich das Buch habe. Okay?«
    Corbin hob eine Augenbraue, in seinem Gesicht spielte amüsierter Spott mit seiner permanent zur Schau getragenen düsteren Ernsthaftigkeit. »Sag jetzt nicht, du hast es …«
    »Doch! Ich habe es geklaut.«
    Einen Moment waren die Brüder so perplex, dass Anna fast laut losgeprustet hätte. Dann zuckten erst Marlons Mundwinkel, anschließend Corbins, kurz darauf lachten beide. Und Anna fiel ein, erleichtert, weil endlich die Anspannung von ihr abfiel.
    »Was hast du damit vor?«, fragte Corbin, als sie sich wieder beruhigt hatten. Er deutete auf die kleine Kamera, die Anna noch immer in der Hand hielt. Sie sah von ihm zu seinem Bruder. Beide hatten vom Lachen leicht gerötete Wangen und sahen so entspannt aus, wie man sie selten erlebte. Warum dies nicht für schlechte Tage konservieren?
    »Ich möchte ein paar Bilder von euch beiden machen«, sagte sie, während sie Corbin das eingetütete Buch reichte. Er überlegte kurz, betrachtete das Päckchen in seiner Hand und dann Annas Finger, die sie schnell ineinander verhakte, damit sie nicht gedankenlos an irgendetwas herumfingerte, was immer wieder offen von ihrer Verlegenheit zeugte. Sein »In Ordnung« hatte etwas Fragendes.
    Es gelang ihr, Corbin und Marlon in den Hof zu locken, wo sie sich nebeneinander an die Hauswand lehnten und jedes »Nun lächelt doch mal!« damit quittierten, noch blasierter und überheblicher aus der Wäsche zu schauen. Erst wenn Anna die Kamera sinken ließ, grinsten sie sich an wie kleine Jungs, denen es gelungen war, einem Mädchen einen Streich zu spielen. Es war hoffnungslos! Durch ihre Lebensweise und die Tatsache, dass sie sich schon seit fast zwei Jahren ohne ihre Pflegeeltern (von den leiblichen ganz zu schweigen) durchschlugen, mochten die beiden selbstständiger und erwachsener sein als alle Jungs in diesem Alter, die sie kannte. Doch letzten Endes waren und blieben sie doch nur alberne, freche, große Kinder.
    »Okay, ich gebe es auf. Belassen wir es bei Bildern von den Gebrüdern Grimmig. Gehen wir wieder hoch?«
    »Gleich«, meinte Corbin. »Lass mich auch noch
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