Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern

Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern

Titel: Himmelsnah - eShort zu Himmelsfern
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
Gesicht in die Hände, ganz zart, nur mit den Fingerspitzen. Es war typisch für ihn, nicht zu fragen, ob etwas passiert war. Er sah ihr das Unglück an, spürte oder witterte es. Immer schien Corbin zu fühlen, wie es ihr ging, manchmal noch, bevor Anna sich selbst bewusst war, dass sie etwas mehr belastete, als sie sich eingestehen wollte. Es war genau diese beinahe unheimliche Sensibilität, in die sie vom ersten Moment an verliebt war und die sie um diesen Jungen kämpfen ließ, auch wenn er zunächst den Eindruck erweckt hatte, kein Interesse an einer Beziehung zu haben. Doch so, wie Corbin Annas Gefühle durchschaute, nahm auch sie alle Emotionen wahr, die er verbarg. Anfangs hatte er arrogant gewirkt. Abweisend, beinah grob. Aber schon beim ersten Kreuzen ihrer Blicke, als ihre Fingerspitzen aneinanderstießen oder als sie im gleichen Moment etwas sagen wollten und dann beide schwiegen und nur stumm lächelten, hatte Anna ein zartes Vibrieren durchfahren: ein flüchtiger Hauch von Sicherheit, dass sich hinter der herablassenden Maske ein liebenswerter Junge versteckte. Gewissheit, in ihm jemanden erkannt zu haben, den sie seit langer Zeit suchte.
    Sie hatte nicht nachgegeben, ihn besser kennengelernt und Dinge herausgefunden, die sie erschütterten: Mit seinem Bruder lebte Corbin illegal als Hausbesetzer in einem Abrisshaus. Er hatte keinen Schulabschluss und dachte nicht einmal daran, diesen nachzuholen oder eine Ausbildung zu beginnen. Die Jahre, die hinter ihm lagen, waren wie geschwärzte Seiten in einem Buch, seine Vergangenheit so dunkel wie seine Augen. Nie würde Anna ihn ihren Eltern vorstellen können, ohne einen großen Krach heraufzubeschwören, den sie weder ihrer empfindsamen, zu Angstattacken neigenden Mutter noch ihrem Vater zumuten wollte, dessen Herz zwar gut, aber inzwischen alt und zerbrechlich und auf irgendeine Weise bereits zu zäh war, um sich mit etwas Neuem auseinanderzusetzen.
    Anna schüttelte die trüben Gedanken an ihre Eltern ab und schloss die Lider, als Corbin ihr einen Kuss auf die Stirn drückte.
    »Ich habe das Buch gefunden«, hauchte sie.
    Corbin ließ von ihr ab. Sie öffnete die Augen. Er war einen Schritt vor ihr zurückgewichen. Das Sonnenlicht schmuggelte sich durch die Kronen der Platanen im Park, wo sie sich oft trafen, und spielte in Nuancen von Nachtblau und Petrol in seinem Haar, das er zu einem kleinen Irokesen hochgestylt trug. Sogar in seinen Augen glaubte sie, diese Farben schimmern zu sehen. Sie machten Anna Angst, diese Besonderheiten an ihm, die sich manchmal nur erahnen ließen und die hin und wieder in brutaler Deutlichkeit zu sehen waren. Sie zeigten, dass Corbin sie verlassen würde. Musste.
    Anna würde so oft gerne wegsehen.
    »Du hast versprochen, dass du nicht danach suchst«, sagte Corbin schroff und wandte sich ab. In der Drehung erkannte sie, wie angespannt sein Kiefer mit einem Mal war.
    »Es war ganz leicht. Nur ein paar Klicks im Internet. Eine Frage in einem Bücherforum. Und ein Telefonat. Es war zu einfach, um es nicht zu tun.«
    Corbin schwieg. Anna trat zu ihm, berührte seine Schulter. »Ich war vorsichtig. Versuch doch, mich zu verstehen. Ich hatte überhaupt keine andere Möglichkeit, als ich von dem Buch erfahren habe. Vielleicht findet sich darin ja ein Hinweis.«
    Unter ihrer Hand spürte sie Corbin tief Atem holen. »Du hast noch nicht nachgesehen?«
    »Nein.« Das Buch lag in ihrem Rucksack. Sie hatte einen anderen Schutzumschlag darum befestigt, es in eine Plastiktüte und dann in eine Baumwolltasche getan, als würde es giftige Dämpfe ausatmen, vor denen sie die Welt und sich beschützen musste. Und Corbin. Dem sie es gebracht hatte wie eine Bombe in Geschenkpapier. Herzlichen Glückwunsch. Wozu auch immer.
    »Du musst nachsehen. Ich glaube nicht, dass ich das schaffe.« Denn was, wenn das Buch keine Antworten gab? Oder nur solche, die alles noch schwieriger machten?
    Corbin nickte. »Gehen wir zu mir?« Seine Worte wirkten unbekümmert, aber das war er nicht. Sie erkannte es daran, dass er nicht schluckte; er verkniff es sich, wie immer, wenn ihm etwas Angst machte und er nicht wollte, dass sie es bemerkte. Hunde machten ihm Angst, er hatte eine regelrechte Panik vor Hunden, vor allem vor den kleinen, flinken Terriern. Sie hatte das sofort wahrgenommen, obwohl Corbin es wirklich gut verbarg. Und ebenso gut verbarg sie, dass sie es wusste. Er hatte bis heute keine Ahnung. Zumindest war sie sich dessen ziemlich sicher.
    Auf dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher