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Himmel uber Langani

Himmel uber Langani

Titel: Himmel uber Langani
Autoren: Barbara und Stefanie Keating
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keinen Versuch, es abzuwischen.
    Er hatte sich bewährt, hatte den Feind getötet. Der große Gott Kirinyaga [2] war jetzt sicher beschwichtigt. Er hatte die Geister seiner Vorfahren versöhnlich gestimmt und den Geist seines Vaters besänftigt. Er richtete sich auf, drehte sich um und verschwand im Wald. Dabei achtete er darauf, die Trampelpfade der Tiere zu umgehen. Auf einer von der Hügelkette weit entfernten Lichtung blieb er stehen, zufrieden, weil er seine Spuren zur Genüge verwischt hatte. Seine Hände zitterten, als er den kleinen Lederbeutel von dem Lederriemen an seiner Hüfte löste, etwas von dem dunklen Pulver auf die Handfläche klopfte und es tief in beide Nasenlöcher sog. Der erneute Adrenalinstoß war so heftig, dass sein Körper erzitterte. Wieder setzte er sich in Bewegung und lief mit großen Schritten durch die Nacht, hinaus aus dem Wald und am Rand der Steppe entlang zu seinem nächsten Zufluchtsort. Noch zweimal blieb er stehen, um sich einen weiteren Energieschub aus dem Lederbeutel zu holen. Doch dann war alles aufgebraucht, und der Weg zu seinem Ziel war noch weit.
    Die Schreie in seinem Kopf waren wieder da. Blitzartig auftauchende Erinnerungen behinderten seine Sicht und ließen ihn auf dem unebenen Boden stolpern. Der Blutgestank des toten Mannes war in seine Lungen eingedrungen. Ihm war, als ob er mit jedem Atemzug den Tod seines Opfers einatmete. Jetzt nahm er um sich herum Gestalten im Schatten wahr. Hyänen. Sie liefen hinter ihm her. Verfolgten ihn. Er glaubte, sie ebenfalls riechen zu können, aber es konnte auch der Gestank des Tieres sein, das er mit dem Speer getötet hatte. Oder der üble Geruch des Opferbluts, das durch die Hitze seines eigenen Körpers geronnen war. Einen Moment lang meinte er in einiger Entfernung vor sich ein Feuer aufflackern zu sehen. In seiner Einbildung bewegten sich Figuren in dem roten Licht, und in seinen Nasenlöchern hing der Gestank von verbranntem Fleisch. Er schlug einen Haken, denn er wollte nicht sehen, wer das Feuer entfacht hatte oder was dort verbrannte. Das Bild verblasste.
    Langsam schwand die Dunkelheit, und in dem Übergang zwischen Nacht und Dämmerung, wo die Welt grau und verschwommen erschien, wusste er nicht mehr genau, was Wirklichkeit war und was nicht. Er befürchtete, dass er unfreiwillig in die Welt der Geister gelangt war und den Weg zurück nicht mehr finden würde. Er hätte die Hyäne nicht töten sollen. Sie war gekommen, um den Geist des Mannes zu verschlingen, und er hatte sie von ihrem Dienst abgehalten. Die Hyäne und der Tote wanderten auf dem Pfad der Geister. Sie suchten ihn. Sie witterten das Blut an seinem Körper. Panik stieg in ihm auf, und er beschleunigte seinen Schritt. Ein Zweig schlug ihm ins Gesicht. Er spürte, wie sein Kopfschmuck herunterfiel, doch er widerstand dem Drang, stehen zu bleiben und ihn aufzuheben. Er war jetzt ein wahrer Krieger, gleichgültig, ob er den Kopfschmuck aus Federn und Perlen trug oder nicht.
    Er hörte, wie ein zweiter Schrei den ersten übertönte. Er begriff, dass dieser aus seinem eigenen Mund kam, als er das Feuer wieder sah. Dieses Mal war es direkt vor ihm. Und es war echt. Daneben stand ein Mann und häutete mit einem panga [3] , einem großen Messer mit flacher Klinge, einen Buschbock. Der Krieger sah die Klinge im Feuerschein blitzen. Keuchend blieb er stehen. Niemand durfte ihn sehen, niemand durfte wissen, dass er auf seinem Weg hier vorbeigekommen war. Der Mann wich zurück und starrte ihn erschrocken an. Ein Jäger. Er hatte Reisig gesammelt und ein Feuer entfacht, um sich vor den wilden Tieren zu schützen, doch nun stand er einem viel gefährlicheren Feind gegenüber. Neben ihm auf der Erde lag ein kurzer Speer. In seiner Panik bückte er sich, um ihn aufzuheben, als der Krieger ihn mit gefletschten Zähnen ansprang und mit seinem Messer zum ersten Mal zustach.
    In der Ferne jaulten und kicherten die Hyänen, riefen sich gegenseitig die Neuigkeit zu. Hier floss Blut. Bald würde es ein Festmahl geben. Als die ersten Lichtstrahlen die Landschaft erhellten, zeigten sie sich. Die Luft war erfüllt von ihrem Geknurre und Gezänk, dem Geräusch schnappender Kiefer und knackender Knochen, als sie ihre Zähne in den frischen Kadaver gruben.

Kapitel 1
    Kenia, Juli 1957
    D ie Schulglocke läutete, doch das Mädchen blieb in der Auffahrt stehen. Früher oder später würde man sie vermissen. Und dann würde es wieder Ärger geben. Aber vielleicht würde der Wagen auch
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